titelthema 22 wirtschaft + weiterbildung 03_2022 tern nerven, die mehrmals hintereinander „Warum?“ zu einem Thema fragen. Wenn Menschen in Sachen Neugier geschult werden, dann sollten sie als erstes lernen, keine Warum-Fragen zu stellen, fordert Carl Naughton in seinem Buch „Neugier“. Warum klingt nach Verhör. Stattdessen sollte man elegantere Fragen benutzen, mit denen der Fragende ehrliches Interesse zeigt. Solche Alternativen zu den „Warum-Fragen“ nennt Naughton „Neugier-Booster“: • „Was wäre, wenn …“ • „Ich würde gerne mehr wissen über…“ • „Wie würde sich das ändern, wenn …“ • „Was ist Ihre Erfahrung mit …“ • „Wie würden Sie …“ • „Mit wem würden Sie gerne an der Lösung arbeiten …“ Der Fragesteller zeigt so dem Befragten, dass er ihn wertschätzt, weil er sich ernsthaft mit seinen Gedanken auseinandersetzt. Gute Fragen, elegant verpackt, bringen nicht nur substanzhaltige Antworten, sondern können auch noch eine gute Beziehung zum Gesprächspartner aufbauen. Oberflächlicher Smalltalk ist keine Neugier In seinem Buch erzählt Naughton auch von der amerikanischen Einzelhandelskette Trader Joe‘s, die ihren Mitarbeitenden gezielt den oberflächlichen Smalltalk abgewöhnt hat. Sie wurden darin geschult, den Kunden oder die Kundin interessiert zu beobachten und zum Beispiel, falls er oder sie Sportklamotten trägt, zu fragen: „Wie lange betreiben Sie schon diese Sportart?“ Der Verkäufer soll sich also bemühen, einen persönlichen Gewinn aus dem Gespräch zu ziehen. Viele Verkäufer reden mit den Kunden folgerichtig nicht mehr über das Wetter, sondern über die WetterApp, die man so auf dem Smartphone hat. Und wenn jemand kein Smartphone hat, geht die Unterhaltung mit der Frage weiter, ob sich der Betreffende möglicherweise nach vielen Diskussionen bewusst dagegen entschieden hat. Eine gute Gelegenheit, Neugier einzuüben, besteht darin, in die üblichen Kommunikationsseminare ein paar Neugierspiele einzubauen: • Den Teilnehmenden wird ein Berg von Fotokarten und ein Berg von auf Zettel gedruckten Spruchweisheiten vor die Füße gelegt. Jeder sollte sich – geleitet vom Unbewussten – ein Foto und einen dazu passenden Spruch aussuchen und an einer Pinnwand befestigen. Anschließend betrachten alle, zu welchem Foto welcher Spruch ausgesucht wurde und es wird jeweils geraten, was der Kollege oder die Kollegin mit der Kombination verbinden könnte. Die Übung dient dazu, Offenheit für die Perspektiven anderer Menschen zu erzeugen. • Eine weitere Neugierübung besteht darin, dass die Seminarteilnehmenden aufgefordert werden, zu einem aktuellen Branchenthema spontan eine Prognose abzugeben. Bankangestellte könnten zum Beispiel vorhersagen müssen, ob die Zinsen oder die Aktienkurse im nächsten Quartal steigen oder sinken werden. Wer eine Prognose abgibt, wird mit der eigenen Unsicherheit konfrontiert und entsprechend hoch wird im Anschluss die Neugier sein, mehr Informationen zu bekommen, um sich gegebenenfalls am nächsten Seminartag korrigieren zu können (was erlaubt ist). Anschließend wird im Seminar diskutiert, was man aus Neugier alles getan hat und ob man sich zu Recherchegruppen zusammengeschlossen hat. Dieses Seminarspiel heißt bei Naughton „Speed Delphi“. Der wichtigste Lerneffekt: Die Mitspielenden zwingen sich zwecks Prognoseoptimierung, sich auch mit Meinungen von Leuten auseinanderzusetzen, die man sonst ignorieren oder gar verachten würde. • Es lebe der Transfer. Es lohnt sich, die Frage zu stellen, ob andere Menschen das Problem, das einen gerade beschäftigt, nicht schon längst gelöst haben. Neugierige Personen finden oft in der Natur, in der Wissenschaft oder in völlig fremden Brachen Problemlösungsansätze, die sie auf die eigenen Produkte oder Prozesse übertragen können. Aus einem Wirtschaftszweig wird externes Wissen auf den eigenen Wirtschaftszweig übertragen. Die Neugier, die einen über den eigenen Tellerrand schauen lässt, führt oft zu sogenannten Transferinnovationen. Die in anderen Bereichen vorhandenen Lösungen helfen, Denkbarrieren zu durchbrechen und Entwicklungszyklen zu beschleunigen. Man erzählt sich, dass Henry Ford, der Erfinder der Fließbandfertigung von Autos, die Abläufe in großen Schlachthäusern beobachtet haben soll. Die Erkenntnisse aus der Fleischverarbeitungsindustrie übertrug er auf die Produktion von Automobilen. Über Abstraktion, Analogiebildung und Adaption können durchaus großartige Innovationen entstehen. Schlaue Unternehmen senden ihre Mitarbeiter gerne zu Fachmessen und Fachkongressen anderer Branchen. Wichtig ist, dass die Mitarbeiter, die in die Welt hinausziehen, um Problemlösungen zu recherchieren, eine „Offenheit“ für fremdes Know-how haben. Learning Journey: Höhepunkt organisationaler Neugier Die japanischen Wissensmanager Ikujiro Nonaka und Hirotaka Takeuchi haben es schon 1995 auf den Punkt gebracht: Wer innovativ sein will, muss sich neugierig in fremde Welten hineinbegeben und dort regelrecht eintauchen. So erfanden sie die „Learning Journey“: Die Delegation eines Unternehmens besucht ein anderes Unternehmen, um dort Antworten auf „unlösbar“ erscheinende Fragen zu finden. Das Motto einer „Learning Journey“ lautet: neugierig sein und verstehen. Jedes Unternehmen hat Schwächen (zu wenig zukunftsfähige Produkte, mangelnde Kundenorientierung, keine Internationalisierung, überholte Strategie). Eine Kernfrage zu jeder Schwäche wird nach folgendem Muster konstruiert: „Was können wir jetzt tun, damit wir in Zukunft das gewünschte X erreichen?“ Es ist sinnvoll, Unternehmen auszuwählen, die in der Wertschöpfungskette vor- oder nachgelagert sind. Wer mutig nach Innovationen sucht, sollte auch Firmen im Ausland oder Non-Profit-Organisationen besuchen. Die Gastgeber werden aufgefordert, kritische Punkte anzusprechen. Der Gastgeber hat die Rolle des Sparringspartners und im Idealfall sogar die des Advocatus Diaboli. Nach der Hälfte der Zeit werden die Rollen getauscht. Dann darf der Gastgeber sein Problem schildern, und die Besucher äußern Problemlösungsideen aus ihrer Praxis, sodass ein wechselseitiger Nutzen entsteht. Martin Pichler R
RkJQdWJsaXNoZXIy Mjc4MQ==