Wirtschaft und Weiterbildung 3/2022

menschen 16 wirtschaft + weiterbildung 03_2022 waren. Beide hatten dieselben Daten, aber ein anderes Modell und kamen zu völlig anderen Schlussfolgerungen. Während die WHO einen lokal begrenzten Ausbruch sah und von drastischen Maßnahmen abriet, befürchtete Ärzte ohne Grenzen einen massiven Ausbruch und forderte sofortige und drastische Maßnahmen. Sie hatten letztlich recht. Das mentale Modell bestimmt also, welche Handlungen man unternimmt, um erfolgreich zu sein. Auch bei Corona konnte man das beobachten. In Asien, wo man bereits Erfahrung mit SARS hatte, hielt man das Virus für extrem gefährlich und ergriff sofort teils radikale Maßnahmen. In Europa wurde Corona anfangs dagegen als eine Art Grippe eingestuft. Auch hier führten unterschiedliche Frames zu unterschiedlichen Entscheidungen. Interessant war die Reaktion von Neuseeland. Dort hat man sich erst einmal an Großbritannien orientiert, wo man Corona leichtsinnigerweise als Grippe sah, die auch wieder verschwindet. Dann hat man nach Asien geschaut, deren Frame übernommen und sich für einen kompletten Lockdown entschieden. Je nachdem, welchen Frame man für ein Problem nützt, trifft man also völlig andere Entscheidungen. Dass man einen Frame völlig ändert, scheint aber eher die Ausnahme zu sein. Warum ist es so schwer, ihn aufzugeben? de Véricourt: Wenn Sie ein Werkzeug haben und wissen, wie Sie es optimal nutzen, ist es schwer, das wieder aufzugeben. Stellen Sie sich vor, Sie haben eine Brille, mit der sie gut sehen können. Dann gebe ich Ihnen eine andere Brille, mit der sie die Farben anders sehen oder die Dinge größer oder kleiner sind. Dann fühlen Sie sich unwohl. Wir gewöhnen uns an unsere Darstellungen und fühlen uns mit ihnen wohl. Je öfter ich einen Frame anwende und sehe, dass er funktioniert, desto schwieriger wird es, zu erkennen, dass er nicht mehr funktioniert und ihn aufzugeben oder zu verändern. Es gibt den bekannten Spruch, „Think outside the Box“. Sie behaupten, das sei Unsinn. Warum? de Véricourt: Dazu gibt es viel Forschung. Wenn man Menschen auffordert, außerhalb der Box zu denken und sich frei von Beschränkungen zu fühlen, werden sie weniger innovativ und treffen schlechtere Entscheidungen. Das klingt zunächst widersprüchlich. Die Menschen fühlen sich zwar befreit, aber ohne die Grenzen unserer Frames ist unsere Vorstellungskraft nur reine Fantasie, die keine wirksamen Optionen für das jeweilige Problem erkennen lässt. Es müsste daher besser heißen: Denke in der richtigen Box. Frames mögen nützlich sein, aber inzwischen glauben viele Menschen, dass künstliche Intelligenz (KI) besser darin ist, unsere Probleme objektiver und fehlerfreier zu lösen ... de Véricourt: Diesen Hype um die künstliche Intelligenz (KI) sollte man vorsichtig betrachten. Es stimmt, dass Maschinen immer mehr Dinge besser können als Menschen. Sie können bestimmte Hautkrebsarten besser erkennen als Ärzte, sie können den besten Schachspieler schlagen. Aber letztlich werden die Menschen weiter wichtig sein. Denn wir können etwas, was die Maschinen niemals können werden: eigene Gedankenmodelle erstellen, mit denen wir Informationen einordnen können, Vorhersagen über die Zukunft treffen und Entscheidungen treffen können. Maschinen können nur Vorhersagen treffen, die den Daten, mit denen wir sie trainieren, sehr ähnlich sind. Deshalb braucht man eine große Datenmenge, um eine Maschine richtig zu trainieren. Andernfalls müssen wir der Maschine sagen, wie sie die Welt sehen soll. Aber sie kann keine eigene Welt schaffen. Im Gegensatz dazu können Menschen Vorhersagen auf der Grundlage von sehr wenigen Daten machen, weil sie ein mentales Modell haben. Nehmen Sie die Mondlandung. Bevor Armstrong als erster Mensch seine ersten Schritte auf dem Mond gemacht hat, gab es keine Daten aus erster Hand dazu. Dennoch passierte nichts völlig Überraschendes, weil wir Modelle hatten, mit denen wir voraussehen konnten, was auf dem Mond passiert. Interview: Bärbel Schwertfeger R ESMT Berlin. Die staatlich anerkannte private wissenschaftliche Hochschule ist akkreditiert von AACSB, AMBA, EQUIS und FIBAA. „ Outside the Box zu denken und sich frei von Beschränkungen zu fühlen, führt zu schlechteren Alternativen.“

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