Wirtschaft und Weiterbildung 3/2022

menschen 14 wirtschaft + weiterbildung 03_2022 INTERVIEW. Der Mensch besitzt die einzigartige Fähigkeit, Gedankenmodelle zu erstellen. So kann er nicht nur Vorhersagen über die Zukunft treffen, sondern auch auf ganz neue Lösungswege stoßen, erklärt Professor Francis de Véricourt. Damit bleibt er der künstlichen Intelligenz überlegen. Das sogenannte „Framing“ wird bislang vor allem dazu genutzt, um Menschen zu einem bestimmten Verhalten zu veranlassen. Menschen sollen zu etwas „gebracht“ werden. Framing hat offensichtlich auch etwas Manipulatives an sich. Ist es das, was Sie unter Framing verstehen? Prof. Dr. Francis de Véricourt: Nein. Framing wird in unterschiedlichen Settings genutzt. Was Sie beschreiben, ist die Art, wie man eine Situation darstellt, um andere zu einem bestimmten Verhalten zu bringen, also zum Beispiel, etwas zu kaufen oder mit dem Rauchen aufzuhören. Dabei nützt man oft einen typischen menschlichen Urteilsfehler. Wenn wir Entscheidungen treffen, tendieren wir dazu, stärker zu reagieren und mehr Risiken einzugehen, wenn wir Verluste befürchten. Wenn wir zum Beispiel einen Stift verkaufen sollen, verlangen wir einen höheren Preis dafür, als wir selbst dafür ausgeben würden. Dazu gibt es zahlreiche, vielfach wiederholte Experimente. In der Forschung geht es bei Framing meist um negative Aspekte, wie wir Entscheidungen treffen und wie wir die Menschen beeinflussen können. Das ist alles richtig. Aber wir sehen Framing positiv als eine einzigartige Fähigkeit des Menschen, abstrakte Repräsentationen der Welt und ihrer Funktionsweise zu erstellen. Und das ist ein sehr machtvolles Werkzeug. Framing steht für uns für eine bewusste Verwendung gedanklicher Modelle, um mehr und alternative Entscheidungsmöglichkeiten zu erkennen. „ Der Mensch schlägt künstliche Intelligenz“ Ist ein Frame dann möglicherweise so was wie eine „Sichtweise“? de Véricourt: Man kann sagen, es ist eine sehr artikulierte Sichtweise. Würden Sie die Modelle der heutigen Physik als eine Sichtweise bezeichnen? Sie bieten zwar eine bestimmte Sicht darauf, wie die Welt funktioniert, aber sie umfassen viel mehr. Eine bessere Analogie ist eine Karte. Wenn Sie mit dem Rad von A nach B wollen, brauchen Sie eine Karte, auf der die Strecke gut repräsentiert ist. Aber wenn Sie mit der U-Bahn fahren, nützt Ihnen diese Karte nur wenig. Da brauchen Sie ein anderes Modell der Strecke. Und umgekehrt sind Sie mit einer U-Bahn-Karte völlig verloren, wenn Sie mit dem Rad an Ihr Ziel kommen wollen. Je nachdem, was Sie erreichen wollen, brauchen Sie einen anderen Frame, also ein anderes mentales Modell. Das gilt zum Beispiel auch für politische Verhandlungen. Nehmen Sie den Brexit. Den kann man als Gewinner-VerliererModell sehen. Was immer der eine gewinnt, verliert der andere und umgekehrt. Eine andere Sichtweise ist es, den Kuchen zu vergrößern, was die EU auch versucht hat. Manches, was gut für mich ist, ist für dich unwichtig. Also kannst du mir das geben und umgekehrt. So bekommt jeder etwas dazu und gibt etwas ab und man ist raus aus dem Gewinner-Verlierer-Modell. Je nach Situation ist ein Frame besser als ein anderer. Nach dem mentalen Modell der Impfgegner ist es besser, nicht geimpft zu werden. Doch es gibt nun mal viele Hinweise und belegbare solide Daten, dass es nicht besser ist, wenn man Francis de Véricourt. Er ist Direktor des Center for Decisions, Models and Data (DMD-Center) an der Wirtschaftshochschule ESMT in Berlin. Er forscht am Massachusetts Institute of Technology (MIT) und hat einen Master of Science in angewandter Mathematik und Informatik. Foto: ESMT Berlin

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