Wirtschaft und Weiterbildung 9/2022

54 wirtschaft + weiterbildung 09_2022 hot from outside Wenn sich die (Arbeits-)Welt rasend verändert, wie kann die Führungsfunktion da unangetastet bleiben? „Was heute als Führung verehrt wird, ist oft nichts anderes als eine Reihe destruktiver, veralteter Verhaltensweisen, die dem Einzelnen und der Gesellschaft schaden“, meint die Autorin, die Change-Expertin Céline Schillinger in ihrem Erstlingswerk „Dare to un-lead“. Das gängige Leadership-Narrativ erhebe Führung zum Statussymbol und vereinfache mit dem Bild von Einzelkämpfern die Realität. Schillinger weiß, wovon sie spricht. Als Managerin beim Pharmakonzern Sanofi war sie ehemals für den weltweiten Ausbau des Impfstoffgeschäfts zuständig. So etwas wie die Vielfalt der Beschäftigten bezog das Pharmaunternehmen in ihren Augen zu wenig ein. Immerhin erreichte die Autorin, dass sich ein internes Netzwerk von rund 2.500 Beschäftigten aus mehr als 50 Ländern bildete. Mithilfe von „Corporate Activism“ lancierte sie in den Folgejahren eine offene Plattform, um das Denguefieber zu bekämpfen. In Co-Creation wurden Lösungen zu diversen Problemen erarbeitet. Im Jahr 2018 machte sie sich mit dem Beratungsunternehmen „We Need Social“ (und als Affiliate des Harvard-Professors John Kotter) selbstständig – wohl nicht zuletzt, weil sie in der Führungskultur von Sanofi immer wieder an Grenzen stieß. Selbst als sie Zugang zur Vorstandsetage bekam, blieb der Grad der Veränderung für sie enttäuschend. In „Dare to un-lead“ mischt sie immer wieder ihre persönliche Erfahrung mit Theorien zum Thema Leadership. Ihr Gegenentwurf: Führung soll Menschen befähigen, in sozialer Interaktion gemeinsame Ziele zu bearbeiten. Alle Beschäftigten könnten zu „Ownern“ von Veränderung werden – durch Partizipation und vernetzte Kommunikation. Was dieses „Relational Leadership“ ausmacht, verdeutlicht die Autorin am Motto der französischen Revolution: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Führung, die Freiheiten von Beschäftigten beschneidet, gleiche Chancen verhindert und Egomanie statt Gemeinsinn fördert – dagegen kämpft Schillinger an und kontert mit neuen Ansätzen. Aber sie spart auch deren Risiken nicht aus. Gefährlich sind zu viel Enthusiasmus, zu große Veränderungsschritte und zu wenig Lernbereitschaft. Die Plattformtechnologie, die sie einst euphorisch stimmte, betrachtet sie heute nüchterner. Zu oft nutzten Führungskräfte Social Media nur als Lautsprecher. Letztlich plädiert das Buch für Transformation statt Revolution: Hierarchie müsse man nicht abschaffen, aber ihr durch soziale Vernetzung die gängigen Muster von Herrschaft und Unterwerfung nehmen. Schillinger stellt übrigens keine Liste mit ultimativen Führungstipps auf. Feste Regelwerke bergen für sie die Gefahr, aus dem Kontext gerissen zu werden und wirkungslos zu bleiben – oder zu einer Art Kult zu werden, der Menschen in Follower und Skeptiker spaltet. Change New Work für Führungskräfte Céline Schillinger Dare to Un-Lead: The Art of Relational Leadership in a Fragmented World, Verlag Figure 1 Publishing Inc. Vancouver (Canada) 2022, 320 Seiten, 27 Euro Bewusst keine Liste mit ultimativen Führungstipps veröffentlicht. „ „ Stefanie Hornung Foto: Ines Meier Die freie Journalistin/Reporterin Stefanie Hornung hat sich auf die Themen New Work, Personalmanagement und Diversity spezialisiert. Sie gehörte viele Jahre als Pressesprecherin zum Team der größten deutschen Personalfachmessen „Zukunft Personal“, „Personal Nord“ und „Personal Süd“. Außerdem war sie Chefredakteurin des Onlineportals „HRM.de“. Mail: s.hornung.ma@gmail.com

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