Wirtschaft und Weiterbildung 9/2022

wirtschaft + weiterbildung 09_2022 41 Der Hirnforscher, der sagt, wie Coaching geht Die Frage, wie er als Hirnforscher zur Psychotherapie und zum Coaching gekommen sei, beantwortete Roth in einem Interview mit dieser Zeitschrift so: „Ich habe mich … immer darum gekümmert, Erkenntnisse über die Grundlagen des menschlichen Fühlens, Denkens und Handelns zu gewinnen. Diese Erkenntnisse haben dann dazu geführt, dass viele Therapeuten heute anders arbeiten als früher.“ Alica Ryba, eine ehemalige wissenschaftliche Mitarbeiterin, hat ihn davon überzeugt, dass neurowissenschaftliche Erkenntnisse nicht nur auf die Therapie, sondern unbedingt auch auf das Coaching übertragen werden sollten. Sie schrieben gemeinsam das Buch „Coaching, Beratung und Gehirn“, in dem eine Brücke von den Neurowissenschaften zum Coaching geschlagen wird. In diesem Buch steht, dass Coaching bei Bedarf über reines Reflektieren hinausgehen sollte (zum Beispiel bei Verhaltensänderungen) und dass man Managern bei bestimmten Themen nicht hilft, wenn man ihnen nur Tipps auf der Verhaltensebene gibt. Roth: „Leider haben die wenigsten Coachs ein tieferes und empirisch begründetes Verständnis von den Tools, die sie einsetzen. Alica Ryba und ich fordern deshalb von den Coaching-Verbänden, dass sie sich zusammensetzen und die Ausbildung zum Coach standardisieren und professionalisieren.“ Die Motive eines Gegenübers erkennen Roth interessierte sich auch dafür, wie Change-Prozesse in Unternehmen erfolgreicher durchgeführt werden können. Er machte darauf aufmerksam, dass sich jeder ArbeitnehJubiläum. Der in der Coaching-Szene sehr geschätzte Neurobiologe Professor Gerhard Roth, Bremen, feierte am 15. August 2022 seinen 80. Geburtstag. Roth promovierte in den Fächern Philosophie und Biologie. Seit 1976 lehrte Roth als Professor für Verhaltensphysiologie an der Universität Bremen. Ab 1989 war er Direktor des Zentrums für Kognitionswissenschaften. mer bei einem Change in erster Linie frage: „Was habe ich davon?“ Mitarbeiter zu motivieren, werde vor diesem Hintergrund nur gelingen, wenn der direkte Vorgesetzte für jeden seiner Mitarbeiter die individuelle „Motivationstaste“ (die individuelle Belohnungserwartung) finde. Der Versuch, alle nach einem einheitlichen Schema zu belohnen oder mit Strafen zu bedrohen, nutze sich schnell ab. Die spezifischen Motive eines jeden Mitarbeiters zu finden, sei schwer, denn man könne schließlich niemanden direkt nach seinen unbewussten Motiven fragen. Weiter komme man als Führungskraft nur, wenn man mit seinen Mitarbeitern rede! Motive offenbarten sich zum Beispiel über Mimik, Gestik, Stimmführung, Körperhaltung und ein „stimmiges“ Zusammenpassen von Inhalt und Körpersprache. Roth hielt wenig von den gängigen Diagnoseverfahren, um Motive offenzulegen. „Es bleibt den Führungskräften nichts anderes übrig, als das Unbewusste eines Mitarbeiters im Dialog hinreichend (natürlich nie vollständig) zu erfassen. Wichtig sei es zum Beispiel, intrinsisch motivierte Mitarbeiter rechtzeitig zu erkennen und ihnen statt Geld besser mehr eigenständiges Arbeiten anzubieten. Neues Buch verspricht „Schule mit Köpfchen“ 2016 gründete der Bremer Professor das private „RothInstitut Bremen“ (www.roth-institut.de), das sich unter anderem auch um die Weiterbildung von Coachs kümmert. Wer zum Beispiel schon eine professionelle Coaching-Ausbildung hinter sich gebracht hat, kann dann bei Roth einen „Leadership Zertifikatslehrgang mit neurowissenschaftlichem Hintergrund“ absolvieren, der unter anderem auf die Vermittlung strukturierter Tools Wert legt und Zugang zu einem Portal mit Instrumenten und den neuesten Erkenntnissen aus der Wissenschaft verspricht. Im August 2022 veröffentlichte Gerhard Roth zusammen mit Michael Koop bei Klett-Cotta in Stuttgart das Buch „Schule mit Köpfchen: Erkenntnisse aus der Hirnforschung für den Unterricht nutzen“. Es hat 240 Seiten und kostet 25 Euro. Das Buch zeigt, wie Lehr- und Lernsettings aussehen, die selbstständiges Lernen ermöglichen, und welche Rolle dabei Motivation, Konzentration, Fleiß und Wiederholung spielen. Die Autoren erläutern wissenschaftliche Grundlagen anhand praktischer Beispiele aus dem Schulunterricht. Martin Pichler Foto: Pichler Gerhard Roth. Coachs sollten eine Vorstellung davon haben, wie ihre Interventionen nützen.

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