R wirtschaft + weiterbildung 09_2022 35 In der Praxis zeigt sich jedoch, dass kurzfristig angesetzte Workshops den an sie geknüpften Erwartungen in aller Regel nicht gerecht werden können. Die relevanten Themen werden gerade nicht besprochen. Stattdessen werden Pseudoanliegen generiert und die Tabus der Organisation taktvoll umschifft. Die Treffen werden eher dafür genutzt, um auf rituelle Weise die immer gleichen Klagen vorzubringen ohne jegliches erkennbare Interesse, diese abzustellen. Selbst die cleversten, rhetorisch begabtesten Moderatoren und Moderatorinnen werden es ohne umfassendes Kontextwissen nicht hinbekommen, zu den Wurzeln dieser Klagen vorzudringen, geschweige denn sie während des Treffens besprechbar zu machen. Am Ende der Veranstaltungen werden Entscheidungen getroffen, von denen alle Beteiligten wissen, dass sie keine Folgen haben werden. Wer sich diese erhofft, muss der Vor- und Nachbereitungsphase des Workshops höhere Bedeutung beimessen als der Veranstaltung selbst. Für die Phasen vor und nach der Veranstaltung muss ausreichend Zeit eingeplant werden. Als Faustregel gilt: mindestens genauso viel Zeit, wie der Workshop selbst dauert. Neben ausführlichen Kontraktgesprächen mit den Veranstaltern müssen – ebenfalls in Einzelgesprächen – auch die Ansichten und Interessen der Teilnehmenden identifiziert werden. Damit dies gelingt, sollten diese Interaktionen wie der Workshop selbst genau vorgeplant werden. Dazu sollte jedes einzelne Gespräch ausführlich dokumentiert werden. Keinen Pseudoanliegen auf den Leim gehen Dies erleichtert die anschließende Auswertung aller im Vorfeld stattgefundenen Gespräche, auf deren Grundlage die Themenfolge im Workshop, Diskussionsschwerpunkte und zu erörternde Fragen feingliedrig vorgeplant werden können. Auf Basis der ausführlichen Dokumentation in der Vorbereitungsphase lassen sich zudem Input-Poster erstellen, die die Kenntnis- und Interessenlage der Stakeholder kondensiert zusammenfassen. Diese Poster sind dann die Arbeitsgrundlage, die es ermöglicht, im Workshop direkt „in medias res“ zu gehen und sich die zeitaufwendige Aushebung der verschiedenen Ansichten und Interessen – wie sie im Workshop ohnehin kaum möglich ist – zu sparen. Wenn den vor- und nachbereitenden Phasen durch dieses Vorgehen eine höhere Bedeutung beigemessen wird als der eigentlichen Veranstaltung, besteht die Chance, dass Workshops den an sie geknüpften Erwartungen tatsächlich gerecht werden. Das gelingt etwa, indem in der vorgelagerten Phase der Sondierungsgespräche die Ziele des Workshops zunächst kontingent gehalten werden. Im Prozess der Auswertung der im Vorfeld geführten Gespräche werden sie immer wieder überdacht und angepasst. Erst auf diese Weise wird es möglich, die wirklichen „pain points“ der Organisation zu identifizieren und der Gefahr zu entgehen, den durch Auftraggebende formulierten Pseudoanliegen auf den Leim zu gehen. Zudem lassen sich die kritischen, sensiblen Themen und Tabus meist nur in Einzelgesprächen thematisieren. Es fällt
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