training und coaching 50 wirtschaft + weiterbildung 04_2022 möglichen nächsten Krise strukturierte, effiziente und damit gut digitalisierbare Prozesse hat, der hat einen entscheidenden Vorteil. Umso mehr wird nach meinen Beobachtungen aktuell daran gearbeitet.“ Ein Defizit haben die Forscherinnen und Forscher der WHU im Umgang mit Geldgebern festgestellt. Während sich die Familienunternehmen selbst als maximal transparent wähnten, haben Finanzierer und Marktbeobachter dies so nicht pauschal bestätigen können. „Unsere Gesprächspartner haben angegeben, dass sie durchaus auf Schnelligkeit und Transparenz gestoßen sind. Gerade hinsichtlich letzterem hätten sie sich aber mehr gewünscht.“ Ein Banker sagte: „Es macht keinen Sinn, den Finanzierer als Gegner zu sehen. Man sollte ihn vielmehr als Partner sehen und ihn mit einbinden. Je mehr er weiß, desto leichter können Entscheidungen getroffen werden.“ Familienunternehmen stehen grundsätzlich im Ruf, eher verschwiegen zu sein und gerade in einer Krise wird eine möglichst offene Kommunikation benötigt. Unternehmen und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben in den zurückliegenden Monaten ein Vielfaches dessen neu gelernt, wozu sie sonst Jahre benötigen. „Lernen fand dabei maximal pragmatisch analog zur neuen Situation statt“, betont Nadine Kammerlander. „Nicht das Lernen in Seminaren, sondern in der täglichen Berufspraxis wurde vielfach zum wichtigsten Prinzip.“ Ein Familienunternehmer fasst zusammen: „Oft sind es keine fundamentalen Änderungen, aber wenn man etwas an einem Fall neu gelernt hat, so verändert man bisherige Gewohnheiten.“ Ein Nachteil von solchen Lernprozessen sei jedoch, dass sie selten verschriftlicht würden, warnt Nadine Kammerlander. Stattdessen seien sie nur an die Beschäftigten und deren verinnerlichtes Know-how gebunden. Viel gelernt, aber nicht formal implementiert FTI-Andersch-Berater Mike Zöller rät deshalb zur Institutionalisierung adaptiver Lernprozesse. „Lernen muss reflektiert und dokumentiert werden, vor allem wenn es im laufenden Betrieb stattfindet“, sagt Zöller. „Zum Beispiel können Lenkungskreise reflektieren, welche Maßnahmen während der Krise funktioniert haben und welche nicht, welche Prozesse verbessert wurden, was überflüssig geworden ist, was neu erlernt werden musste.“ Daraus könnten ‚Best Practices‘ und Leitfäden entwickelt werden, um dieses Wissen strukturiert und gezielt weiterzugeben. Und vor allem müssten Prozesse nicht nur informell, sondern ganz formal angepasst werden. Unternehmen, die das gemacht hätten, könnten in der jetzigen Situation unmittelbar an das Erlernte anknüpfen. Der Lehrstuhl für Familienunternehmen der WHU Otto Beisheim School of Management hat 52 qualitativ-explorative Interviews geführt: 36 mit Top-Führungskräften deutscher Familienunternehmen, 16 mit externen Stakeholdern (www.whu.edu/de/fakultaet/ entrepreneurship-and-innovation-group/ familienunternehmen). Martin Pichler „Krisen werden oft erst zu spät erkannt. Auch im Fall der Coronapandemie war das so“, sagt Professorin Nadine Kammerlander, Leiterin des Lehrstuhls Familienunternehmen an der WHU Otto Beisheim School of Management. Oft gelte im Mittelstand das ‚Feuerwehrprinzip‘: Wenn eine Situation eintrete, versuche man das Beste daraus zu machen. „Als Spezialisten für Restrukturierungssituationen von Unternehmen überrascht uns das zunächst zögerliche Agieren deutscher Mittelständler nicht“, sagt Mike Zöller, Vorstand der Unternehmensberatung FTI-Andersch, der die Studie aus der Praxisperspektive begleitet hat. „Vielfach gestehen sich Unternehmen sogar erst dann eine Krise ein, wenn sie schon kurz vor der Insolvenzgefahr stehen. Umso positiver ist zu bewerten, dass spätestens mit dem Beginn des ersten Lockdowns die von uns befragten Unternehmen unisono den Hebel umgelegt haben: Einrichtung von Krisen- und Lenkungskreisen, rasche Entscheidungen, schnelle Umsetzung in Handlungen.“ Diese Entschlossenheit sei bemerkenswert. Eine vorhandene Digitalisierung hätte geholfen Die Unternehmen haben in der Krise in einem agilen Trial-and-Error-Prinzip neue Arbeitsweisen entwickelt. „Noch schneller und einfacher wäre es gegangen, wenn Alltagsroutinen schon digitalisiert gewesen wären“, sagt Mike Zöller. „Das ist sicherlich ein Lernergebnis aus den Krisenmonaten: Wer schon vor einer Was der Mittelstand aus der Coronapandemie lernte WHU-STUDIE. Deutsche Familienunternehmen haben zu Beginn der Coronapandemie die Krisensignale erkannt, aber nicht unmittelbar gehandelt. Sie haben eine steile Lernkurve hingelegt, das Erlernte jedoch noch nicht vollständig in neue Prozesse umgesetzt. Das haben der Lehrstuhl für Familienunternehmen der WHU Otto Beisheim School of Management und die Unternehmensberatung FTI-Andersch gemeinsam herausgefunden.
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