training und coaching 44 wirtschaft + weiterbildung 04_2022 schließlich nach Berkeley gekommen, also müsst Ihr gut sein.“ • Der dritten Gruppe hingegen wurde mitfühlend gesagt: „Es ist okay zu scheitern. Versucht es doch einfach noch einmal. Ihr könnt so lange lernen, wie Ihr wollt und wir empfehlen Euch noch zusätzliche Lernmaterialien. Sagt uns dann einfach, wann Ihr für den Wiederholungstest bereit seid.“ Das Ergebnis war: Die Probanden der dritten Gruppe, gegenüber denen Mitgefühl geäußert wurde, lernten viel intensiver als die beiden anderen Gruppen für den Wiederholungstest. Deshalb erzielten sie in ihm auch deutlich bessere Ergebnisse. Selbstmitgefühl setzt sich aus drei Komponenten zusammen 1. Selbstliebe, 2. Achtsamkeit und 3. Akzeptanz, ein Mensch zu sein. Mit der Akzeptanz ein Mensch zu sein verbunden ist die Fähigkeit und Bereitschaft zu begreifen, dass Dinge nicht immer so laufen, wie wir es gerne hätten, und deshalb auch Verluste, Fehler und eigene Grenzerfahrungen nebst den damit verbundenen Gefühlen „normale“ Bestandteile unseres Lebens sind. Selbstmitgefühl setzt Achtsamkeit voraus Das setzt auch eine gewisse Achtsamkeit voraus, sodass uns bewusst wird, was wir (nicht) getan haben. Unser Verhalten gilt es mit einem gewissen Abstand realistisch zu betrachten und zu analysieren – ohne unseren Beitrag zu schmälern oder zu übertreiben beziehungsweise überzubewerten. Denn nur dann können wir das Geschehene adäquat bewerten, als Erfahrung annehmen und daraus lernen, ohne in Scham zu versinken. Diese Fähigkeit brauchen wir in der von rascher Veränderung und sinkender Planbarkeit geprägten Vuka-Welt mehr denn je – beruflich und privat. Verfügt eine Person über diese Fähigkeit, dann kann sie hiermit auch ihr Umfeld infizieren. Auch dies zeigen die Studien von Kristin Neff. Dieser Befund ist zum Beispiel für Führungskräfte relevant. Leben Sie Ihren Mitarbeitenden ein Selbstmitgefühl vor, das davon ausgeht „Es ist normal beziehungsweise menschlich, dass uns vieles nicht auf Anhieb gelingt. Also versuche ich es, wenn nötig, noch einmal“, dann nehmen diese Botschaft in der Regel auch Ihre Mitarbeitenden wahr und auf. Das heißt, auch sie entwickeln ein entsprechendes Selbstmitgefühl und verhalten sich demgemäß. Mit dem inneren Kritiker kommunizieren Manchmal ist es nicht einfach, dem mentalen Dialog mit dem inneren Kritiker zu entrinnen, denn diese Gedanken tauchen blitzschnell in uns auf und lösen tief in uns verankerte (Verhaltens-)Muster bei uns aus. Ein erster Schritt, um dieses Reiz-Reaktionsschema zu durchbrechen, ist, die überzogen selbstkritischen Gedanken bewusst wahrzunehmen und sie mit einem inneren „Stopp“ zu unterbrechen. Dies gelingt Ihnen, indem Sie statt in die übliche Schimpftirade zu verfallen, sich zum Beispiel vorstellen, was Sie einem guten Freund in einer solchen Situation sagen würden. Stellen Sie sich das bildhaft vor, und sagen Sie dies dann zu sich selbst. Der stärkste Veränderungshebel ist jedoch, mit unserem inneren Kritiker Freundschaft zu schließen. Sagen Sie zu ihm beispielsweise: „Danke, ich sehe, dass Du mir mit Deiner Kritik eigentlich helfen willst. Doch vielleicht gibt es noch einen anderen Weg, der hilfreicher und unterstützender für mich ist. Ich ermutige mich, eine Veränderung vorzunehmen und stärke mein Selbstmitgefühl.“ Dann wird der innere Kritiker zwar gehört und wahrgenommen, also muss er nicht lauter und schärfer werden, um gehört zu werden. Zugleich gewinnt er jedoch keine Macht über Sie, und Sie leiden nicht unter ihm. Selbstkritik kann in einer unerwünschten Sucht enden Inzwischen gibt es etwa 4.000 Studien, die die Vorteile von Selbstmitgefühl untersucht haben. In ihnen wurden außer Menschen, die bereits früh gelernt haben, Selbstmitgefühl zu entwickeln, auch solche untersucht, die kurzzeitig in eine selbstmitfühlende Stimmung versetzt wurden und solche, die langfristig trainierten, selbstfühlend zu sein. Die Studien zeigen: Menschen mit einem ausgeprägten Selbstmitgefühl sind selbstbewusster und selbstwirksamer. Sie sind außerdem entschlossener als andere Menschen, sie schlafen besser und neigen weniger zu einem Suchtverhalten. Zusammenfassend kann man sagen: Mit einem inneren Kritiker, der faktisch ein wohlgesonnener innerer Verbündeter von uns ist, werden wir stärker und meistern wir leichter schwierige Zeiten und Situationen. Wer braucht eine solche Energiequelle heutzutage nicht? Yvonne Emig R Austin. Die University of Texas in Austin (Foto mit George-WashingtonStatue) sucht nach Wegen, den inneren Kritiker zu kultivieren. Foto: f11photo/AdobeStock
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