training und coaching 40 wirtschaft + weiterbildung 04_2022 ist aber, dass einem überhaupt etwas einfällt, denn es soll auch Menschen geben, denen es unmöglich ist, konkret über ihre Zukunft nachzudenken und sich zum Beispiel den für sie optimalen Arbeitsplatz oder Karriereschritt vorzustellen. Wenn der User keine Lust zu einer ernsthaften Kooperation mit Sally hat und ironische Bemerkungen eingibt, merkt Sally das nicht. Wer als Kompliment „Alle sagen, ich sei dumm wie Brot“ eingibt, muss sich nicht wundern, wenn er dann bei der Ableitung der Stärken aufgeschmissen ist. Schon der berühmte Therapeut Steve de Shazer, der Erfinder der lösungsfokussierten Kurzzeittherapie, soll versucht haben, den idealen Verlauf eines therapeutischen Gesprächs in ein Flussdiagramm zu packen. Überspitzt gesagt, wäre das leicht zu programmieren gewesen, denn wenn de Shazer fragt: „Auf einer Skala von 1 bis 10 – wie gut können Sie schon die Fähigkeit X nutzen?“ Und der Klient antwortet: „Schätze, ich bin bei 4.“ Dann folgt die vorhersehbare Frage: „Was müssten Sie tun, um auf der 5 zu landen?“ Basiswissen Psychologie „nebenbei“ vermittelt Seit Frühjahr 2021 kommt aus München der Coaching-Chatbot „Onesome“. Auch er verspricht orts- und zeitunabhängig Persönlichkeitsentwicklung, ohne dass ein „echter“ Coach involviert wäre. Der Klient kommuniziert schriftlich mit „Onesome“ und der führt ihn mit intelligenten Entscheidungslogiken durch verschiedene Fragen immer stärker in die Selbstreflexion und Selbstentwicklung hinein. Darüber hinaus lernen es die User, Skills wie Neugierde, Kommunikation, aber auch Zeit- und Konfliktmanagement zu entwickeln und auszubauen. „Onesome“ wird derzeit nur Unternehmen angeboten, die den Chatbot zur Entwicklung einzelner Mitarbeiter nutzen können. Ergänzende Community Sessions helfen bei Bedarf dabei, Gruppen zu vernetzen und in bestehende Programme wie Führungscoachings einzubinden. Mitgründerin Swantje Benussi betont: „Wenn Menschen durch die Begleitung des digitalen Coachs in der Lage sind, ihre Muster, Stärken und Trigger besser zu erkennen, werden sie auch Veränderungen im Unternehmen ganz anders mittragen können als bisher.“ „Onesome“ will die menschlichen Fähigkeiten des Users mithilfe von schriftlich angeleiteten Reflexionen stärken. Es geht darum, „die Prinzipien, nach denen man lebt, zu überprüfen und Verhaltensmuster zu erkennen und bei Bedarf aufzubrechen“. Bevor es aber ans Reflektieren geht, bietet der Bot sehr viel psychologisches Basiswissen, das einen ganzen Schrank von Büchern ersetzen kann. So wird man mit 100 Werten konfrontiert (von „achtsam sein“ bis „zielstrebig sein“) und zum Schluss bleiben sieben persönliche Topwerte übrig. Später lernt man wirklich alle Antreiber kennen, die sich Transaktionsanalytiker jemals haben einfallen lassen. Auch hier findet jeder seine eigenen Antreiber zur weiteren Reflexion. Die Vorteile von CoachingChatbots Coaching-Chatbots haben ein paar Vorteile, die dazu geführt haben, dass sie zum Beispiel zum Coaching von Berufsanfängern gerne genutzt werden: • Sie sind von jedem Ort aus immer erreichbar und somit unabhängig von den Arbeitszeiten eines normalen Coachs. Ein Warten auf einen Termin entfällt. • Sie urteilen niemals über die User. Keiner muss Angst haben, dass seine Eingaben abgewertet werden. • Sie ermöglichen (abends) eine zeitnahe Reflexion des am Arbeitsplatz Erlebten. Der User kann seine nächsten Schritte psychologisch fundiert durchdenken. Die Umsetzungswahrscheinlichkeit der angedachten Veränderungen steigt. • Auch die geringeren Kosten im Vergleich zum Honorar eines Coaches sind ein Pluspunkt. Eine hybride Variante könnte die Lösung sein Eine Art „hybrides Coaching“ schwebt Oliver Fritsch und Michaela Lang mit ihrer App „Pocketcoach“ vor. Alle begann mit einem Set von Spielkarten, dass Ratsuchende nutzen sollten, um sich selbst zu coachen. Daraus wurde ein CoachingChatbot mit dem Namen „Pocketcoach“ (die englischsprachige Variante heißt Woebot). Die Texte des Bots und die Aufgaben, die er stellt, wurden auf der Basis echter Coaching-Gespräche von Psychologen vorformuliert. Das Versprechen lautet: „Mit dem Pocketcoach kannst du bereits in 90 Minuten absolutes Verständnis für deine Lebenssituation bekommen.“ Hat der User dann durch einen „Zielführungsprozess“ mit Selbstreflexion sein Ziel erkannt, kann er einen echten Coach dazu buchen. Dieser hybride Ansatz mache Sinn, meinte Fritsch gegenüber dem Portal www.t3n. de. „Es hilft total, nach der Analyse auch mit jemandem persönlich zu sprechen, selbst wenn es nur für eine halbe Stunde ist.“ Männer würden dabei länger „auf eigene Faust“ mit dem Chatbot „herumhantieren“, während Frauen sich schneller einen echten Coach als Gesprächspartner dazu holten. Die Tatsache, dass ein echter Dialog mit dem Coaching-Chatbot gelegentlich schon fehlt, wird von einigen Anbietern mit der Bemerkung überspielt, echte Coaches würden auch nur fragen und nicht antworten. Das stimmt nicht ganz: Ein echter Business-Coach, der 250 Euro in der Stunde kassiert, gibt an den passenden Stellen zumindest ein mitfühlendes „Hm“ zum Besten. Martin Pichler R Buchtipp. Die Denkweise und Sprache von Chatbots kompakt erklärt von Malte Lömker, Ulrike Weber, Johannes Moskaliuk: „Chatbots im Coaching: Chancen im lösungsfokussierten Coaching“, Springer, Wiesbaden 2021, 49 Seiten, 14,99 Euro
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