training und coaching 38 wirtschaft + weiterbildung 04_2022 R kürzter Form beschrieben werden soll: Sally kommt zum Beispiel mit der Forderung auf einen zu, man möge in ein Computerfeld hineinschreiben, welche Komplimente man schon einmal für eine gute Leistung bekommen habe. Sally fordert mindestens sechs Komplimente. Dann behauptet sie, man könne aus Komplimenten, die einem andere gemacht hätten, auf die eigenen Stärken schließen. Sally gibt neun Stärken vor und man muss mindestens zwei davon als zu sich passend aufschreiben. Die von Sally vorgegebenen Stärken sind (verkürzt): 1. Ich arbeite zielorientiert. 2. Ich reflektiere über mich selbst und möchte mich weiterentwickeln. 3. Ich arbeite strukturiert und habe mein Zeitmanagement im Griff. 4. Ich treffe Entscheidungen und löse Probleme. 5. Ich kann mit belastenden Situationen umgehen, reagiere flexibel auf Stress. 6. Ich kommuniziere in Gesprächen klar, stelle Fragen und höre zu. 7. Ich erkenne und löse Konflikte. 8. Ich fördere Zusammenarbeit und nutze Vielfältigkeit. 9. Ich delegiere passend und gehe individuell auf Mitarbeitende ein. Immerhin kennt der User jetzt die wichtigsten denkbaren Stärken, die im Berufsleben eine Rolle spielen. Allein dieser Überblick dürfte für Berufsanfänger Gold wert sein. Sally möchte, dass man notiert, wie einem die gerade individuell ausgewählten Stärken konkret bei der Arbeit im Wunschberuf (musste zu Beginn definiert werden) nutzen könnten. Weder die niedergeschriebenen Komplimente noch die ausgewählten Stärken werden von der Software hinter Sally zur Kenntnis genommen. Es handelt sich „nur“ um eine Art Tagebucheintrag für einen selbst, wenn man den Ablauf des „Coachings“ noch einmal nachlesen will. Die Leitung von Sally besteht darin, den User zum Nachdenken über erhaltene Komplimente angehalten und ihn dann zur Schlussfolgerung in Richtung Stärken animiert zu haben. Einen solchen Chatbot nennt man „regelbasiert“, weil er dem User eine vordefinierte Reihe von Fragen stellt, die auf ein Endergebnis zulaufen. Das Programm des Chatbots versteht die Antworten nicht. Offene Dialoge mit der Software sind nicht möglich. Von seinen Vorbildern auf die eigenen Defizite schließen Ein anderes Beispiel für einen von Sally geführten Weg in Richtung Selbsterkenntnis sieht so aus: Der User nennt ein berufliches Vorbild. Dann wird er aufgefordert, drei Fähigkeiten aufzuschreiben, die er an diesem Vorbild bewundert. Dann kommt Sally mit dem Umkehrschluss: Die Fähigkeiten, die man bewundert, sind die Fähigkeiten, die man am dringendsten bei sich ausbauen sollte. Und aus dieser Basis wird der User dann aufgefordert, drei Ziele und anschließend die dazu passenden Maßnahmen zur Zielerreichung aufzuschreiben. Je nachdem, wie lange ein Coachee braucht, um über die Fragen nachzudenken, kann schon einmal die dreifache Zeit vergehen – verglichen mit der „offiziellen“ Bearbeitungszeit. Die Hauptsache „Wer über dieses Thema schreibt, kann schnell falsche Erwartungen wecken“, warnte ein Softwareprogrammierer den Autor dieses Artikels. Seine Sorge: Von einem Roboter, einem Chatbot, gecoacht zu werden, könnte man sich leicht so vorstellen, dass man mit Siri über persönliche Probleme spricht, und wenn Siri dann lange genug zugehört hat, bekommt man von ihr und einer dahinterliegenden künstlichen Intelligenz eine individuelle Antwort. Doch Coaching-Chatbots sind (noch) keine Roboter, die gesprochene Sätze verstehen und selbstständig passende Antworten erzeugen können. Die Wahrheit ist, dass die gängigen Coaching-Chatbots Gesprochenes weder hören und verstehen können und auch nicht akustisch antworten. Der Nutzer tippt Worte in ein Bildschirmfeld ein und bekommt anschließend als Reaktion Sätze angezeigt. Die sind keine Reaktion auf seine Worte, sondern eine Anweisung, was als nächstes zu tun ist. Mit Sally auf der Suche nach den eigenen Stärken Konkret wird das derzeitige Wesen der Coaching-Chatbots, wenn man sich „Sally“ von der Sklls GmbH in Konstanz (www.sklls.de) ansieht. Der CoachingRoboter wurde schon mit dem HR-Innovation-Award der Messe „Zukunft Personal“ ausgezeichnet. Seit 2021 wird Sally auch Privatpersonen angeboten. Bevor das eigentliche (kostenpflichtige) sechsmonatige Coaching losgeht, bekommt man einen kostenlosen Karrierecheck, dessen Ablauf hier teilweise und in verWas Coaching-Chatbots können und was (noch) nicht COACHING. Coaching-Chatbots können Coachees schon ohne die Hilfe eines menschlichen Coachs psychologisches Wissen vermitteln und durch strukturierte Fragen zur Selbstreflexion anregen. Die Coachees dürfen keine Dialoge mit selbstständig denkenden Robotern erwarten, aber mehr Klarheit über ihre eigenen Ziele, Werte und Antreiber.
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