wirtschaft + weiterbildung 04_2022 33 vier Faktoren mehr oder weniger gleichzeitig auf die Führungsebene ein. Die Auswirkungen erschweren in traditionellen Unternehmen das Recruiting und die Mitarbeiterbindung. Es ist jedoch auch hier nicht so einfach, die Führung neu auszurichten, da häufig die vorhandenen Mitarbeiter beziehungsweise die „alten Kunden“ ein Verharren in der alten tradierten Führungswelt einfordern. Die neue Führungshaltung muss also zunächst lernen, mit den daraus entstehenden Widersprüchen umzugehen. Es geht darum, eine Balance zwischen den in der nebenstehenden Grafik dargestellten Aspekten zu finden. Viele Führungskräfte spüren die Sogwirkungen von beiden Seiten. Dies gilt vielleicht weniger für Start-up-Unternehmen mit einer sehr jungen Mitarbeiterschaft, die bereits das Unternehmen in einer Art Heterarchie aufbauen können, aber umso mehr für ein traditionelles Unternehmen, wie zum Beispiel eine Bank oder eine Verwaltung. Die Umstiegswege zur neuen Führung Wir können die geschilderte Geschichte als Entwicklungsweg sehen. In vielen Unternehmen reift aber auch die Erkenntnis, dass aus dem Modell der vier Könige ein situatives Führungsmodell entstehen kann. Das heißt, keines der vier Königsmodelle ist der alleinige „Königsweg“, vielmehr macht in der Praxis für gute Führung der Mix aus. Die Grundlage effektiver Führung ist eine geklärte und gute Beziehung zu den Mitarbeitenden. Dieser Grundsatz gilt für alle „Königsmodelle“ – auch in der Welt des roten, starken Königs war es für den Machterhalt wichtig, eine gute Beziehung zu den „Untertanen“ zu haben. Wenn wir des Weiteren wegwollen von dem Modell der Untertanen, ist eine weitere Grundlage das Führen auf Augenhöhe. Dies macht aber nicht den starken König unnötig. Auch auf dem Fußballplatz braucht es einen Schiedsrichter, der manchmal konsequent ist und in schwierigen Situationen eingreift. Der Unterschied zwischen schlechten und guten Schiedsrichtern ist jedoch die Beziehung zu den Spielern und die Begegnung auf Augenhöhe. Wenn diese Grundlage zu den Mitarbeitenden gegeben ist, kann eine Erwartungsklärung mit den Mitarbeitenden sehr sinnvoll sein, die folgende drei Perspektiven offenlegt: 1. Meine innere Führungskompetenz Wir alle tragen in uns einen der König oder eine Königinnen, der besonders stark wirken möchte. Dies kommt zum einen aus unserer Lebensgeschichte, unseren Karrierewegen und vielem mehr. Wir können zu der Frage: „In welcher Königsform führe ich am liebsten?“ ein Selbstbild erarbeiten und auch Feedback einfordern. Der eine ist gern die Fachfrau/-mann und löst gerne Probleme, der andere mag lieber Entscheiden und ist „charismatisch“ und wieder ein anderer liebt es, das Team zu moderieren. Aus dem Feedback der Mitarbeitenden kann ich dann lernen, inwieweit ich andere „Königstugenden“ mehr oder weniger anwenden sollte. Aber Vorsicht: Dies führt uns schon zur zweiten Perspektive. 2. Die Erwartungen des Umfelds Mein Führungsumfeld hat Erwartungen an mich als Führungskraft und dies kann bestenfalls mit meinem inneren „König“ übereinstimmen, kann diesem aber auch widersprechen. Vielleicht wünschen sich die Mitarbeitenden aufgrund der vorherigen Führungskraft eine fachliche Führung, oder der Chef sagt: „Bei diesem Team müssen Sie glaube ich einmal durchgreifen …“ Wichtig ist, diese Perspektiven zu kennen und auch die Hintergründe und Erwartungen zu spiegeln. Wichtig ist aber auch, dass es fahrlässig wäre, diesen Erwartungen einfach Folge zu leisten. Denn eine dritte Perspektive ist ebenfalls sehr wesentlich, um zu entscheiden, welcher „Führungsmix“ sinnvoll ist. 3. Der Kontext Die Frage ist: Welcher Mix an „Königen“ ist eigentlich erforderlich aufgrund des äußeren Kontextes? Sollte das Team insgesamt die Verantwortung übernehmen, damit alle miteinander in Kollaboration die beste Lösung erarbeiten? Oder ist der Kontext so, dass schnelles Handeln erforderlich ist und eine Entscheidung gefordert wird? Diese Frage ist letztlich in der Entscheidungsfindung, wie geführt werden sollte, eine sehr wichtige Frage. Sie fragen, warum das so ist? Warum die drei Perspektiven der Führung so wichtig sind Angenommen ich übernehme ein Vertriebsteam, das seit Jahren sehr erfolgreich im Stil eines „blauen, schlauen Königs“ geführt wurde. Dann ist es wahrscheinlich, dass dieses Team auch von mir diese Art von Führung erwartet. Nehmen wir aber gleichzeitig an, dass ich von außerhalb komme und die Firma in den nächsten Jahren neue Wege einschlagen muss, wobei dies sich auch auf den Vertrieb auswirkt. Um Lösungen für neue Vertriebswege und Produktideen zu finden, braucht es eine hohe Expertise des Kunden. Das bedeutet, der Kontext „schreit“ quasi nach einer Führung „König/innen unter König/innen“ und wenn ich dann gleichzeitig ein charismatischer Führer bin, der bislang eher im Patriarchat geführt hat, dann muss ich mich gegen meine innere und gegen die Erwartungshaltung der Mitarbeitenden stellen. Ich müsste im Sinne des Kontextes das Team ermutigen, sich auf den Weg zum Führungsmodell „Selbstorganisation und Kollaboration“ aufzumachen. Dieses Beispiel zeigt, wie wichtig es ist, über die Erwartungen und die drei Perspektiven von Führung zu sprechen. Nur so kann letztlich ein Mix an guter Führung gelingen. Klaus Kissel Klaus Kissel ist ist einer von drei Geschäf tsführern des Instituts für Sales & Managementberatung GmbH & Co. KG ifsm, Höhr-Grenzhausen bei Koblenz. Der systemische Coach sowie Personal- und Organisationsentwickler ist unter anderem Autor der Bücher „Prinzip der minimalen Führung“ und „Organisationen in Resonanz“ (Windmühle-Verlag). Adresse: www.ifsm-online.com AUTOR
RkJQdWJsaXNoZXIy Mjc4MQ==