titelthema 22 wirtschaft + weiterbildung 04_2022 haben, der Vorreiter für eine ökologisch nachhaltige Mobilität werden können? Was gefehlt hat, war der lange Atem, der das Unternehmen über viele Jahrzehnte ausgezeichnet hat. Irgendwann wurde der Wunsch nach kurzfristigen und spektakulären Erfolgen übermächtig. Das Ergebnis war der Verlust an „Leadership“. Im Wechsel zwischen „Aufbruch“ und „Aufräumen“ hat sich die ökonomische Substanz des Unternehmens nicht über Nacht, aber über die Jahre hinweg in Luft aufgelöst. Lernen aus der Geschichte Eines der wichtigsten Motive, sich mit der Geschichte zu beschäftigen, liegt darin, Lehren zu ziehen. Wer will, kann aus der Geschichte von Daimler viel lernen. Zum Beispiel: 1. Folge deinem „inneren Programm“. Folge nicht irgendwelchen Managementmoden, die nur allzu gern von Akteuren in die Welt gesetzt werden, die sich später nicht dafür verantworten müssen. So wie in den 1980er-Jahren die Diversifikation als Allheilmittel gegen stagnierende Märkte und Wachstumsschwäche gepriesen wurde, so ist es heute das „Pure Play“. Doch entwickeln sich aktuell nicht gerade die nordamerikanischen IT-Giganten basierend auf ihrer Kernkompetenz zu breit diversifizierten Konglomeraten? Muss nicht wer einem Trend folgt zur Kenntnis nehmen, dass es auch einen Gegentrend gibt? Gewiss, das hilft dem Handelnden, der entscheiden muss, nicht wirklich weiter. Aber es sollte ihn dazu veranlassen, zunächst einmal in das eigene Unternehmen hineinzuhören und sich selbstkritisch die Frage zu stellen: Was können wir und was brauchen wir, um langfristig den Wert unseres Unternehmens zu steigern? Wer den inneren Kompass verliert, wird anfällig für die Einflüsterungen anderer und zum Opfer des Gezwitschers in den sozialen Medien und auch anderswo. Erfolgreiche Unternehmen sind „innengelenkt“ nicht „außengelenkt“. 2. Unternehmen sind soziale Systeme. Eingriffe in ein Geschäftsmodell, gewollt oder ungewollt, entwickeln eine Eigendynamik, die ein Geschäftsmodell zerstören kann. Die sprunghafte Erhöhung der Produktionskapazitäten zu Beginn der 1980er-Jahre führte dazu, dass das Unternehmen zwar plötzlich keine Lieferzeiten mehr hatte, dafür aber Rabatte geben musste. Das war natürlich so nicht beabsichtigt, aber es war die zwangsläufige Folge, wenn man die Marktversorgung von einem „Pull-“ auf ein „Push-System“ umstellt. Die Diversifikation von Edzard Reuter hat zwangsläufig zu einem Mangel an Managern geführt, die ein solches Gebilde hätten führen und steuern können. Woher hätten sie auch kommen sollen? Jürgen Schrempps Welt AG geriet in einen wachsenden Konflikt zu den Handlungsnotwendigkeiten, die sich bei der Marke Mercedes-Benz durch den verstärkten Wettbewerbsdruck aufgedrängt haben. Und Dieter Zetsche hat im Grunde kein Modell gefunden, wie man all die vielen Ideen aus CASE hätte organisatorisch umsetzen können. Allein der Aufbau von Mobilitätsdiensten hätte eine Ausgliederung dieser geschäftlichen Aktivitäten gefordert. Ola Källenius’ Weg in den „Luxus“ wird Einschnitte in der Kapazitätspolitik, im Management der Supply Chain, im Vertrieb und vor allem in der Unternehmenskultur erfordern, wenn er erfolgreich sein soll. 3. Das Image sollte auf dem „Tatsächlichen“ und nicht auf „Kommunikation“ beruhen. Es gibt kaum ein Unternehmen, das so wenig kommuniziert, so wenig von sich preisgibt und so wenig Werbung betreibt wie Tesla. Wer kommuniziert, ist der Chef, und der tut das mit einem offensichtlich großen Spaß daran, andere ins Bockshorn zu jagen, was erstaunlicherweise vielen gefällt. Daimler hat in dem Zeitraum, über den in diesem Artikel berichtet wurde, viel kommuniziert. Aber was ist davon hängengeblieben? Ist das Image des Unternehmens nicht viel mehr durch seine Auf- und Umbrüche, Krisen und Eskapaden geprägt, als durch das, was man versucht hat, den Menschen über dieses Unternehmen zu erzählen? Ist es nicht erstaunlich, dass die erfolgreichen häufig die „stillen“ Unternehmen sind? 4. Wachstum und Profitabilität sind keine Ziele. Sie sind das Ergebnis einer richtigen Strategie und deren konsequenter Umsetzung. Als vor vielen Jahren einmal ein Toyota-Manager gefragt wurde, ob es das Ziel seines Unternehmens sei, die Nummer eins in der Welt zu werden (damals war es noch General Motors), antwortete er: Nein, das sei nicht das Ziel von Toyota. Aber wenn man die richtigen Produkte zum richtigen Preis auf den Markt bringen werde, werde man es wahrscheinlich nicht verhindern können, die Nummer eins zu werden. So viel östliche Weisheit ist nicht in vielen Unternehmen anzutreffen. 5. Unternehmen sollten gesellschaftliche Trends antizipieren. Aber sie müssen auch eine Vorstellung darüber entwickeln, welches Geschäftsmodell sie brauchen, um diese Trends für sich nutzen zu können. Joachim Zahn (von 1971 bis 1979 Vorstandsvorsitzender der Daimler-Benz AG) hat mit seinem Prinzip der „maßvollen Investitionspolitik“ genau jenen Hebel gefunden, damit Daimler von dem Wunsch der Menschen nach einem „besseren Leben“ profitiert hat. Er hat den Trend genutzt, ohne einem plumpen und vergänglichen Konsummaterialismus Vorschub zu leisten. Er hat dort Begehrlichkeit erzeugt, wo andere Unternehmen sich als billige Bedarfsdecker positioniert und profiliert haben. Auch diese Unternehmen waren in der Zeit eines überbordenden Wirtschaftswachstums erfolgreich. Aber sie mussten den Kunden und Kundinnen hinterherlaufen, als deren Wünsche und Ansprüche R Prof. Dr. Willi Diez (68) ist ein Professor für Betriebswir tschaf tslehre und wirkte am Aufbau des automobilwirtschaftlichen Studiengangs an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (HfWU) mit. Er war außerdem langjähriger Leiter des Instituts für Automobilwirtschaft (IFA). Er ist weiterhin Geschäftsführer der IFA Forum & Management GmbH und trotz Ruhestands auch immer wieder publizistisch tätig. willi.diez@ifa-info.de AUTOR
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