Wirtschaft und Weiterbildung 6/2022

R wirtschaft + weiterbildung 06_2022 39 Insgesamt gibt es mehrere Iterationen, in denen das Spiel gespielt wird, in der Regel fünf. Eine Iteration dauert jeweils zwei Minuten. Vorher erhält das Team jeweils zwei Minuten für ein „Planning“, um sich über das bestmögliche Vorgehen zu beraten und zu schätzen, wie viele Bälle es schafft. Im Anschluss an den Durchgang gibt es noch einmal eine Minute für eine „Retrospektive“, um über mögliche Verbesserungen im Prozess zu sprechen. Die Erfahrung ist, dass die Teams zu Beginn Schwierigkeiten haben, mehr als einige wenige Bälle durchzuschleusen. Am Anfang stehen die Teilnehmenden in einem großen Kreis und werfen der jeweils gegenüberstehenden Person nach einem festgelegten Muster einen Ball zu. Der Letzte lässt den Ball in einen Eimer fallen und der Erste startet mit einem neuen Ball. In der zweiten Runde rücken die Teilnehmer eng zueinander und bilden mit ihren Körpern zwei parallele Linien, was die Sache beschleunigt. Es entwickelt sich ein stabiles System, das aber vom Trainer oder der Trainerin zerstört wird, weil die (wahrheitsgemäß) berichten, dass eine frühere Gruppe über 100 Bälle durchgeschleust hat. Die Regeln sind absichtlich undeutlich formuliert (Was heißt schon „in der Luft sein“?) und es zeigt sich, dass alles noch schneller geht, wenn die Teilnehmenden sich in der Form eines Wasserfalls aufstellen. Auch ist es nicht verboten, dass drei Bälle mit einem im Trainerkoffer befindlichen Klebeband zusammengeklebt werden. So etwas verdreifacht das Ergebnis. André Häusling, der zusammen mit Esther Römer und Nina Zeppenfeld das „Praxisbuch Agilität“ (eine Toolbox mit über 40 agilen Tools und Spielen) veröffentlicht hat, erklärt den Lernfortschritt beim „Ball Point Game“ so: „Dieser Lerneffekt kommt durch den Inspect-andAdapt-Ansatz zustande, also durch das konsequente Überprüfen des Prozesses und das Adaptieren von Maßnahmen, die sich als gewinnbringend erwiesen haben. Dieses Spiel verdeutlicht also die Logik agiler Prozesse.“ Beispiel „Fang den Product Owner“ Ein weiteres agiles Spiel, das wir dem Buch „Daily Play“ entnehmen, heißt „Fang den Product Owner“. Der Product Owner gehört zu den zentralen Akteuren, ist für die Wertsteigerung des Produkts im Entwicklungsprozess verantwortlich und leitet das agile Team an. Ein Product Owner hat viele Kommunikationsaufgaben: Gespräche mit Stakeholdern führen, Workshops mit Anwendern oder Kunden moderieren, bereichsübergreifende Abstimmungen zum Vorgehen treffen, Frage und Antwort stehen. Die Teilnehmenden in einem Workshop werden in Dreiergruppen aufgeteilt, die – jede Gruppe für sich – ein Rollenspiel spielen. Einer von ihnen spielt den Product Owner eines fiktiven Unternehmens, der zweite spielt einen Menschen (Stakeholder), der Fragen an den Product Owner hat, und der Dritte ist der schweigende Beobachter des Rollenspiels. Nach jeder Runde wechseln die Rollen im Uhrzeigersinn. Der Trainer oder die Trainerin druckt für jedes Dreierteam einen Satz Spielkarten aus. Die Karten definieren und beschreiben plastisch die kommunikativen HerWer agil werden will, muss mehr tun, als nur Prozesse anzupassen. Um sich dem Wandel in der Arbeitswelt zu nähern, gibt es agile Spiele, die aber immer nur einen zentralen Aspekt des agilen Arbeitens hervorheben, sodass die Teilnehmenden nicht überfordert werden. Im Folgenden geht es um ein agiles Spiel, das Agilität auf der Ebene des Prozesses erlebbar macht. Beispiel „Ball Point Game“ Das „Ball Point Game“ ermöglicht es Teams, einen agilen Produktionsprozess in mehreren Iterationen, also Durchgängen, zu simulieren. Es wurde von Boris Gloger erfunden, fand rasche Verbreitung in der agilen Community und wird oft eingesetzt, um Teams einen ersten Kontakt mit agilen Prozessen und ihren Wirkungsweisen zu ermöglichen. André Häusling, Geschäftsführer HR Pioneers in Köln, arbeitet mit folgender (hier stark gekürzter) Anleitung: Das „Ball Point Game“ lässt sich am besten mit Gruppen ab sechs Personen spielen. Je mehr Mitspieler, desto besser. Bei sehr kleinen Gruppen bieten sich weniger Möglichkeiten zur Prozessoptimierung, da weniger „Prozessstationen“ vorhanden sind. Man benötigt einen ausreichend großen Raum, in dem sich die gesamte Gruppe bequem bewegen kann. Zusätzlich erfordert das Spiel mindestens 100 Bälle gleicher Art (zum Beispiel Tennisbälle). Weitere notwendige Materialien sind eine Stoppuhr und ein Flipchart, um die Ergebnisse zu dokumentieren. Neben dem Spielleiter gibt es noch das Team (alle Teilnehmenden). Das Team hat die Aufgabe, so viele Bälle wie möglich in einer bestimmten Zeit von A nach B zu schleusen. Dafür gibt es einige wenige Regeln, die es einzuhalten gilt. Ansonsten kann sich das Team selbstständig organisieren und den idealen Weg für das beste Ergebnis finden. Die Regeln sind: • Der Ball muss durch das ganze Team hindurch transportiert werden, das heißt, jedes Teammitglied muss jeden Ball mindestens einmal berühren. • Bei der Übergabe muss der Ball kurz in der Luft sein. • Darüber hinaus darf der Ball nicht an den direkten Nachbarn zur Linken oder Rechten weitergegeben werden. Buchtipp I. Julia Dellnitz (et al.): Daily Play – agile Spiele für Coaches und Scrum Master, Verlag Rheinwerk, Bonn 2021, 320 Seiten, 19,90 Euro Buchtipp II. Christian Böhmer: Agile Games – das Spielebuch für agile Trainer, Coaches und Scrum Master, Verlag Business Village, Göttingen 2022, 251 Seiten, 19,95 Euro

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