personal- und organisationsentwicklung 32 wirtschaft + weiterbildung 06_2022 Werner Sauter: Wir haben unser Konzept des Wertemanagements schon mit einigen Unternehmen realisiert und gehen davon aus, dass es einen wachsenden Bedarf dafür gibt, neben dem Kompetenzmanagement auch Wertemanagement in die Organisationen zu bringen. Da Werte Ordner selbstorganisierten Handelns sind und damit den Menschen Motivation und Orientierung geben, können sie nicht getrennt voneinander entwickelt werden. Damit geht ein Paradigmenwechsel in der betrieblichen Bildung einher. Inwiefern ein Paradigmenwechsel? Sauter: Wir müssen wegkommen von formellen Lernformaten, hin zu Werte- und Kompetenzentwicklung im Prozess der Arbeit oder in Praxisprojekten, idealerweise begleitet durch ein Coaching oder eine professionelle Lernbegleitung. Werte und Kompetenzen kann man nicht in Seminaren vermitteln. Man kann sie nur selbstorganisiert durch das Bewältigen von realen Herausforderungen aufbauen. Wir wissen, dass man von dem, was man in Seminaren hört, nur sieben bis acht Prozent in der Praxis anwendet. In solchen formellen Bildungsangeboten – übrigens auch in Fallstudien, die Business Schools für Führungskräfte machen – lasse sich keine Werte und Kompetenzen entwickeln, weil sie dort niemals diese emotionale Herausforderung schaffen können, die notwendig ist, um überhaupt Werte- und Kompetenzentwicklung zu ermöglichen. Wir streichen also Seminare aus der betrieblichen Weiterbildung? Sauter: Nein, Seminare können durchaus weiter sinnvoll sein – als unterstützende, ergänzende Maßnahmen. Wissen und Qualifikation sind nicht mehr das Ziel der Bildung, sondern sie sind die notwendige Voraussetzung, die das Unternehmen bei Bedarf „on demand“ zur Verfügung stellen muss. Deswegen bedeutet für uns Werte- und Kompetenzentwicklung immer auch „Micro Learning“. Das heißt also Wissens- und Qualifikationsmodule so zur Verfügung zu stellen, dass die Mitarbeitenden dann, wenn sie Bedarf haben, darauf zurückgreifen können und das Gelernte sofort anwenden können. Ist es nicht übergriffig, wenn ein Unternehmen die Werte der einzelnen Mitarbeitenden erfassen und beeinflussen möchte? Gibt es da nicht Grenzen im Wertemanagement? Erpenbeck: Es gibt natürlich Grenzen. Das ist aber ein uraltes Problem der Diskrepanz zwischen Beeinflussung und Manipulation. Wir wollen zum Beispiel in der Gesellschaft beeinflussen, dass Demokratie und Freiheit zu Werten von möglichst vielen Menschen werden. Das ist Einflussnahme, keine Manipulation. Aber dazwischen gibt es keine scharfe Trennlinie. Und das ist bei den Unternehmen genau dasselbe. Unternehmen möchten natürlich die Mitarbeitenden beeinflussen, zum Beispiel möglichst nachhaltig zu denken. Das ist eine Beeinflussung, die das Unternehmen mithilfe von Wertetraining weitergeben kann. Es kann aber auch sein, dass ein Chef die Untergebenen wirklich manipuliert. Dabei funktioniert beides über emotionale MechaHerr Erpenbeck, Ihre Bücher hießen immer Kompetenzmanagement, Kompetenztraining, Kompetenzentwicklung. Jetzt heißen sie, Werteerfassung, Wertetraining, Wertemanagement. Wie kam es dazu? Ersetzt das eine das andere? John Erpenbeck: Das ist eigentlich eine stringente Entwicklungslinie. Einer der ersten Publikationen, die ich gemacht habe, hieß „Motivation, ihre Psychologie und Philosophie“. Und die Hälfte dieses Buches geht über Werte, weil die Motivationen natürlich ganz eng mit Werten zusammenhängen. Und als ich in den 1990er Jahren in die Kompetenzthematik eingestiegen bin, war mir und meinen Mitautoren klar, dass Kompetenzen ohne Werte nicht existieren. Wenn man Kompetenzentwicklung macht, entwickeln sich immer auch Werte mit. Es ist zwar kein Eins-zu-eins-Verhältnis: Man kann nicht sagen, dass man die Kompetenzen entwickelt und damit gleichzeitig immer auch bestimmte Werte. Und auch umgekehrt können wir Werte entwickeln, aber nicht garantieren, dass sich dabei entsprechende Kompetenzen entwickeln. Aber beides gehört zusammen und wirkt auch in der Praxis wirklich zusammen. Ist das Wertemanagement schon in der Praxis der Unternehmen angekommen? Erpenbeck: Über Werte reden fast alle Unternehmen – im Sinne von Leitlinien. Womit die Unternehmen tatsächlich noch Schwierigkeiten haben: Dass diese Werte auch in die tatsächliche Weiterbildung, und zwar im Sinne eines Wertetrainings und nicht im Sinne einer Belehrung über Werte, wirklich einfließen. „ Wertetraining erfordert einen Paradigmenwechsel“ INTERVIEW. Professor John Erpenbeck gilt als Koryphäe für Kompetenzmanagement. Er hat zahlreiche Bücher dazu publiziert. Seine aktuellen Publikationen zusammen mit Professor Werner Sauter tragen alle das Thema „Werte“ im Titel. Im Interview erläutern beide, wie es zu diesem Wandel kam, warum Unternehmen dem Wertemanagement mehr Aufmerksamkeit schenken sollen und wo Grenzen im Wertetraining liegen können.
RkJQdWJsaXNoZXIy Mjc4MQ==