personal- und organisationsentwicklung 30 wirtschaft + weiterbildung 06_2022 erfahrenen Fach- und Führungskräften organisationsspezifisch formuliert werden, operationalisiert. Die angepassten Werteausprägungen bilden die Grundlage für die Fragen zur Erfassung der Werte. Die Werte von Individuen, von Teams und von gesamten Organisationen bilden sich jeweils aus eigenen Prozessen heraus. Deshalb erfassen wir die Werte auf drei Ebenen, im Regelfall Top-down: Organisationsebene: Die Mitarbeitenden werden von Anfang an in den Prozess des Wertemanagements mit einbezogen, um breite Akzeptanz aufzubauen. Deshalb schätzen sie in einem Ratingverfahren ein, wie die Werte oder die Kultur der Organisation tatsächlich ausgeprägt sind (Ist), geben aber auch an, wie die Werte nach ihrer Meinung ausgeprägt sein sollten, damit die Organisation zukünftig erfolgreich ist (Wunsch). Aus der Analyse und Bewertung dieser Erfassungsergebnisse können in einem moderierten Prozess unter Einbeziehung strategischer Ziele und der Rahmenbedingungen SollProfile für die Organisation sowie eine Wertemission abgeleitet werden. Diese bilden den Rahmen für das Wertemanagement auf allen Ebenen der Organisation, den Teams und den Mitarbeitenden. Teamebene: Die Teammitglieder bewerten in einem Ratingverfahren Ist- und Wunschwerte für ihr Team. In einem Workshop mit ihrer Führungskraft analysieren und bewerten sie die Ergebnisse und leiten daraus Sollwerte sowie überprüfbare Entwicklungsziele für die Teamwerte ab, die in verbindlich vereinbarten Teamprojekten aufgebaut werden. Individualebene: Mitarbeitende erfassen mit einer Selbsteinschätzung in einem Ratingverfahren ihre individuellen Werte. Parallel kann ihre Haltung durch Kollegen oder Kolleginnen oder Führungskräfte erfasst und verglichen werden. Die persönlichen Werte werden im Regelfall mit den Teamwerten oder Sollwerten für bestimmte Funktionen abgeglichen, sodass die Mitarbeitenden, meist in einer professionellen Werteberatung, eigenverantwortlich ihre jeweils zwei bis drei Werteziele definieren, die sie in den kommenden Wochen oder Monaten erreichen wollen. Diese stellen sie in einem Entwicklungsgespräch ihrer Führungskraft vor und vereinbaren verbindlich, in welchen Praxisaufgaben oder in welchem Praxisprojekt diese gezielt entwickelt werden können. Für die Auswahl von Bewerbenden und die Beratung für neue Mitarbeitende empfehlen wir ein Rankingsystem, das aufgrund der Methode der Satzergänzung für alltägliche und besonders herausfordernde Situationen sozial erwünschte Antworten weitgehend ausschließt. Dabei heißt Messung nicht unbedingt eine Zahlenbestimmung bis zur Kommastelle. Schon die Feststellung mehr oder weniger, intensiver oder weniger intensiv wirkender Werte ermöglicht eine gezielte Werteentwicklung. Wie werden Werte entwickelt? Kann man Werte wirklich trainieren? Ja, das ist möglich, aber nicht mit bunten Webseiten, Belehrungen oder mit Übungen in Seminaren. Wertebildung heißt nicht lehrhafte Vermittlung, denn Werte lassen sich nicht beibringen oder lehren. Welche Werte Menschen wichtig sind, kann niemand anderes bestimmen als sie selbst. Werte bilden sich immer aus eigenen Erfahrungen. Ich werde zum Beispiel erst pünktlich sein, wenn ich es selbst als wichtig erfahren habe und nicht, weil mir meine Lehrer oder Lehrerinnen nun zum zehnten Mal gesagt hat, es sei wichtig. Bei der Frage nach der Werteentwicklung werden viele Mitarbeitende und Führungskräfte aufgrund ihrer Erfahrungen vor allem an instruktionale Maßnahmen denken. Die wichtigsten aktuellen Instrumente sind die Thematisierung, zum Beispiel in Seminaren, mittels Verhaltenskodizes („Code of Conduct“) und Leitbilder. Diese normativen Formulierungen und deren Diskussion können jedoch allein keinen Wertewandel bewirken, weil bloß vermittelte, nicht verinnerlichte Werte kaum Einfluss auf das eigene Entscheiden und Handeln haben. Die gezielte Werteentwicklung kann nur über widersprüchliche, emotional anrührende Situationen erfolgen. Das können Praxisprojekte und „Job Enrichment“ am Arbeitsplatz, „Job Rotation“, realititätsgleiche Trainingsaufgaben oder alltägliche, aber auch massive Konflikte sein. Deshalb ist es so wichtig, dem Handeln in der Praxis den höchsten Stellenwert bei der Entwicklung von Werten der Mitarbeitenden, der Teams und der gesamten Organisation zuzuschreiben. Wo keine emotionale Berührung ist, entwickeln sich keine Werte. Es braucht dafür eine emotionale Labilisierung – das Erleben und Bewältigen von Zweifeln, Widersprüchlichkeit oder Dissonanzen, die aufgelöst werden. Die Verinnerlichung (Interiorisation) von Werten ist der Schlüsselprozess jeder Werteaneignung. Die Erkenntnis, dass Werte Kerne von Kompetenzen sind, hat zur Folge, dass die Entwicklung von Werten und Kompetenzen nicht getrennt voneinander gestaltet werden kann. Deshalb ist die Entwicklung von Werten und Normen stets an die Entwicklung von Kompetenzen gekoppelt. Es geht dabei immer um die Entwicklung von Fähigkeiten, in entscheidungsoffenen Situationen auf Basis gemeinsamer Werte zu handeln, also um Kompetenzen. Werte der Mitarbeitenden können nicht gelehrt werden, sie können aber selbstorganisiert bei der Bewältigung von Herausforderungen in der Praxis aufgebaut werden. Deshalb wachsen Arbeiten und Lernen wieder zusammen. Daraus ergeben sich diese grundlegenden Stufen der gezielten Werteentwicklung: • Die Praxisstufe ist die Basis jeder Werteentwicklung. Dabei geht es um ein Handlungslernen im Arbeitsprozess, in Praxisprojekten oder auch im sozialen Umfeld, etwa bei der Lösung von Konfliktsituationen. Die Lernwelt sollte sich deshalb zu einem Spiegelbild der agilen Arbeitswelt entwickeln, im besten Fall diese Entwicklungen sogar vorwegnehmen. Die Arbeitsmethoden bestimmen damit die Gestaltung der Lernprozesse. Autofahren haben Sie nicht im Fahrschulunterricht gelernt. Erst als Sie sich selbst ans Steuer setzen durften und mit Ihrem Fahrlehrer als Coach losgefahren sind, haben Sie die notwendigen Erfahrungen im Straßenverkehr gesammelt, die Ihnen nach und nach die Sicherheit gegeben haben, das Fahrzeug mit der erforderlichen Achtsamkeit durch den Verkehr zu lenken. • Die begleitende Coachingstufe ergänzt die Praxisstufe. Coaching verstehen wir im Rahmen der Werteentwicklung als R
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