26 wirtschaft + weiterbildung 06_2022 titelthema bilden, um verschiedene Standpunkte zu teilen und gemeinsam Lösungen zu finden. Sie haben bei VW auch eine eigene Softwareschmiede aufgebaut, die Fakultät 73. Für wen ist dieses Konzept gedacht? Linde: Die 73 richtet sich sowohl an Beschäftigte als auch an Externe und das ohne Altersbeschränkung. Alle Bewerber durchlaufen unter anderem ein logisches Auswahlverfahren. Die Besten werden eingeladen. Pro Jahrgang bekommen wir 1.500 Bewerbungen, wobei sich unsere internen Bewerberinnen und Bewerber gut durchsetzen. Die 100 Besten pro Jahrgang stellen wir ein. Das Verhältnis liegt etwa bei 70 bis 75 Prozent intern zu 25 bis 30 Prozent extern. Dass so viele Interne erfolgreich sind, hängt sicher auch damit zusammen, dass viele bereits ihre Ausbildung bei uns absolviert haben und eine gute Basis mitbringen. Für mich war und ist die 73 einer meiner schönsten Aufträge – vor allem wenn ich an das Leuchten in den Augen der Mitarbeitenden denke, die eine ganz neue Laufbahn eingeschlagen haben, die zum Beispiel vorher am Montageband tätig waren. Ist die 73 also kein Konkurrenzprodukt zur 42? Linde: Nein. Die 73 haben wir klassischer angelegt als die 42. Der GamificationAnsatz der 42 ist zudem einzigartig. Das konnten wir so schnell nicht nachbauen. Wir arbeiten in der Fakultät 73 mit deutlich mehr Unterrichtseinheiten. Die Absolventen der 73 sind nach zwei Jahren Junior-Software-Entwickler, die 42er studieren doppelt so lange, erwerben also noch tiefere Kenntnisse. Sie sagten eben, dass einige Mitarbeitende mit der Fakultät 73 eine ganz neue Laufbahn einschlagen. Wie steht es bei VW allgemein um das lebenslange Lernen, das die 42 ja auch unterstützt? Linde: Das lebenslange Lernen war jahrelang eine tote Phrase, die alle gerne benutzten. Aber auf die Frage „Wann hast du das letzte Mal gelernt?“ hatten die meisten keine Antwort. Es war nur hohles Gerede. Ich habe den Eindruck, das hat sich verändert. Und das ist wichtig. Das lebenslange Lernen muss selbstverständlich werden. Wir sind gerade dabei, unser gesamtes Bildungssystem umzustellen, indem wir Selbstlernplattformen einführen. Wir bauen eine neue digitale Lernwelt, die sich breit nutzen lässt. Dazu gehören Lernshops für die Entwicklung, Produktion und Finanzabteilung, in denen je spezifische Bildungsinhalte zur Verfügung gestellt werden – entwickelt mit Experten und Expertinnen der Fachbereiche. Mein Ziel ist auch, dass wir das marken- und länderübergreifend teilen können. Neben diesem Bildungsökosystem entwickeln wir auch spezielle Lernpfade. Wir stellen diese in einer Art U-Bahn-Fahrplan dar. Um im Bild zu bleiben: Je nach Ausgangsposition können Sie verschiedene Zielbahnhöfe ansteuern. Rechts steht das Ziel, etwa Junior-Software-Ausbilder oder Datenlogistiker. Links stehen die Orte, an denen die Mitarbeitenden einsteigen können. So kann zum Beispiel ein Metallarbeiter zum Datenlogistiker einsteigen, die Fahrt dauert Vollzeit zwei Jahre über verschiedene Stationen. Wenn Mitarbeitende als Automobil-Mechatroniker und -Mechatronikerinnen einsteigen, ist die Fahrt kürzer und dauert ein Dreivierteljahr, weil schon Vorwissen über Elektrik vorhanden ist. Wer schon Ingenieur oder Ingenieurin für Elektronik ist, fährt nur vier Monate. Die Transformation fordert unabdingbar, dass Mitarbeitende neue oder andere Kompetenzen erwerben. Wie gehen Sie damit um? Linde: Die Requalifizierung ist natürlich ein großes Thema bei uns. Wer heute Otto- und Dieselmotoren entwickelt, wird in Zukunft Elektromotoren schaffen oder andere Themen im autonomen Fahren bearbeiten. Wir unterscheiden hier Up- und Reskilling. Upskilling führen wir im Augenblick in unglaublichen Ausmaßen durch. Das umfasst alle Angebote bis zu drei Wochen. Unter Reskilling fallen alle Maßnahmen ab drei Wochen bis zu zwei Jahren. Es ist aber gar nicht so, dass sich alle Mitarbeitenden neu erfinden müssen. Mitarbeitende der Werksicherheit beispielsweise können in ihrem Berufsfeld bleiben, müssen aber mit vielen technologischen Neuerungen bis zur Drohne umgehen können. Das heißt, viele können ihren Job behalten, müssen sich aber an neue Technologien anpassen. Für andere trifft das nicht zu, sie müssen etwas ganz Neues machen. R „ Bildung muss aus ihrem aktuellen Aktionsrahmen treten. Der Mut dazu wird dringend gebraucht. “ Lernraum. Die 42 Wolfsburg steht gut erkennbar da – und versteht sich als „Zukunftsort“. Foto: Detlef Wecke
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