R wirtschaft + weiterbildung 06_2022 25 an, die Teil des Studiums an der 42 sind. Auch haben wir sogenannte „Fellows“, also Kolleginnen und Kollegen bei Volkswagen aus dem IT- und Softwarebereich, die Studierende mit ihren Erfahrungen begleiten. Überhaupt wollen wir über Vorträge und Projekte mit den Studierenden in Wolfsburg in Kontakt kommen, um das Thema „Mobilitätssoftware“ in den Fokus zu rücken. Es gibt auch Unterstützungsprogramme für Studierende, die finanzielle Förderung benötigen. Firmen können Gelder dafür einbringen, die dann auf Studierende verteilt werden. Denn die 42 ist keine staatlich anerkannte Hochschule und darum erhalten die Studierenden kein Bafög – das muss sich meines Erachtens ändern. Sie haben bei VW in Deutschland 4.500 Azubis, weltweit über 20.000. Haben Sie selbstorganisierte Lernkonzepte auch in der betrieblichen Ausbildung umgesetzt? Linde: Ja, das Ziel verfolgen wir seit einigen Jahren. Ich höre zwar bisweilen den Einwand, dass Azubis Anleitung benötigen und selbstorganisiertes Lernen nur mit Studierenden geht. Aber unsere Erfahrungen zeigen, dass das so nicht stimmt. Unsere Auszubildenden haben alle bisherigen Angebote zum Selbstlernen und Selbstorganisieren gut angenommen. Ein Beispiel dafür ist der „Mobility Campus“ in Hannover. Da haben wir Auszubildende an ein Industriemodell einer Produktionsanlage gesetzt, haben ihnen einige Aufgaben gestellt und sie selbstständig über einige Monate das Projekt erarbeiten lassen. Was sie hatten, waren die Telefonnummern der Roboterhersteller und von Experten sowie Expertinnen im Unternehmen. Die Auszubildenden haben sich selbstorganisiert im Team aufgeteilt, viel telefoniert und Expertenwissen angezapft. Erst am Ende des Tages wurden die Erfahrungen, die Erfolge und Misserfolge mit den Ausbildern und Ausbilderinnen reflektiert. Ähnliche Konzepte verfolgen wir auch an unseren anderen Standorten. Wenn Menschen selbstgesteuert agieren, Spaß daran haben und man sie auch wirklich frei handeln lässt, neigen sie dazu, gute Leistungen zu erbringen und das zu machen, wofür sie Talent haben und was sie gerne machen. Funktioniert diese Bildungsidee ausnahmslos für jedes Lernen? Linde: Natürlich müssen wir das differenziert betrachten. Um Grundstoff zu vermitteln, braucht es Lehrkräfte, also Experten und Expertinnen, die wissen, wie es geht. Zum Beispiel ist es nicht möglich, dass Elektriker oder Elektrikerinnen, die später an Starkstrom arbeiten werden, in der Ausbildung dieses Wissen nur aus dem Internet beziehen. Dennoch bin ich überzeugt, dass Lehrkräfte immer mehr zu Lernbegleitenden oder zu Lernarchitekten werden. Junge Menschen sollten befähigt werden, sich Wissen selbstständig anzueignen. Das bedeutet nicht, dass wir alles auf E-Learning umstellen, sondern dass wir die jeweils passende Methode wählen und mehr Inhalte öffentlich zugänglich machen. Die 42 verzichtet komplett auf Lehrkräfte. Die Community bewertet sich gegenseitig. Warum kann das hier funktionieren – ohne ein Korrektiv, einen Experten von außen? Linde: Das 42er-Spiel setzt selbst den Rahmen und gibt Orientierung. Hilfe gibt es zudem permanent durch das „Peer-topeer“-Lernen. In einem Klassenzimmer, in Tests und in Klausuren ist es normalerweise nicht üblich, sich zusammenzuschließen oder Ratschläge zu teilen, um ein Problem zu lösen. Bei 42 ist es genau andersherum. Wenn ein Projekt zu schwierig wird, hilft es, eine Gruppe zu Foto: Detlev Wecke Doppelfunktion. Ralph Linde ist Chief Learning Officer und Kulturverantwortlicher des VolkswagenKonzerns sowie Präsident der 42 Wolfsburg.
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