Wirtschaft und Weiterbildung 6/2022

24 wirtschaft + weiterbildung 06_2022 titelthema Was genau ist das Attraktive am Konzept der 42? Was macht es aus Ihrer Sicht so neu und anders? Linde: All das, was im klassischen Bil- dungssystem vorherrscht, gibt es nicht in dieser Schule so wie Lehrer, Klassenräume oder Unterricht. Außerdem gibt es keine Zulassungsbeschränkung, jeder kann sich bewerben, egal welcher Schulabschluss vorliegt. Die 42 setzt dabei auf viele Elemente, die ich spannend finde – darunter auch der Gamification-Ansatz: Die Schüler und Schülerinnen in der 42 spielen sich gewissermaßen durchs Curriculum. Es gibt insgesamt 21 Level. Mit Level 16 erreicht man das „Junior Developer Level“ und mit dem Bestehen von Level 21 das „Master Level“. Die 42 zu durchlaufen, ist allerdings kein Kinderspiel. Es ist anspruchsvoll, das Spiel zu bestehen, und wer über bestimmte Zeiträume keine Fortschritte erzielt, kann das Studium nicht fortführen. Bereits das Auswahlverfahren, das sogenannte „Piscine“, ist nicht einfach. Dabei suchen wir nicht etwa nur nach Mathe-Nerds, die Informatik können. Wir wollen diejenigen auswählen, die die größten Fortschritte machen und die am besten im Team zusammenarbeiten. Programmierer sind nämlich entgegen aller Vorurteile nicht die einsamen Nerds, die abgeschottet von der Außenwelt, allein in ihrem Zimmer programmieren, sondern es ist vielmehr eine Teamleistung, einen guten Code zu schaffen. Zudem spielt Selbstorganisation als Grundkompetenz eine große Rolle in der 42. Und die Fähigkeit, sich eigenständig schnell Neues anzueignen. Das alles finde ich an dem 42-Konzept sehr spannend. Und das Studium ist kostenlos. Ihr Ziel ist also, Fachkräfte zu schulen und zu gewinnen. In Berlin sind Partner dabei wie Microsoft und SAP, die auch IT-Talente gewinnen möchten. In Wolfsburg läuft der Verein vornehmlich über Spenden von VW, aber inzwischen sind auch andere Spender dabei. Spüren Sie da eine Konkurrenz? Linde: Die 42 ist eine gemeinnützige Stiftung. Unsere Spende bringt keine Verpflichtung mit sich. Am Ende entscheiden also die jungen Leute völlig frei, wohin sie gehen wollen. Daher ist es wichtig, dass wir unsere Attraktivität als Arbeitgeber klar herausstellen und ein Umfeld schaffen, in dem diese Talente gern arbeiten wollen. Im Übrigen hat unser Land so viel Nachholbedarf in Sachen Softwareentwicklung, dass wir gut daran tun, gemeinsam Kompetenzen für die Zukunft zu entwickeln. Ich bin sogar überzeugt, dass wir nur über Partnerschaften und enge Zusammenarbeit etwas bewegen können. Wie fördern Sie die Talente der 42 neben der finanziellen Unterstützung noch? Linde: Zum einen bieten wir Praktika Sie selbst sind Präsident der 42 Wolfsburg. VW hat die Schule mit einer Summe von 3,7 Millionen Euro unterstützt und fördert sie weiterhin mit zwei Millionen Euro jährlich. Warum dieses Engagement? Ralph Linde: Zuvorderst: Wir befinden uns in der Transformation. Die Elektromobilität, das autonome Fahren und die zunehmende Vernetzung des Fahrzeugs erfordern viele neue Kompetenzen, besonders im Entwickeln, Coden und Programmieren von Software. In Deutschland haben wir an dieser Stelle Nachholbedarf. Daher müssen und wollen wir etwas tun. Natürlich erhoffen wir uns über die 42er Schulen in erster Linie, Softwaretalente für Volkswagen zu gewinnen. Aber es geht auch darum, Regionen zu stärken und bundesweit zum Kompetenzaufbau beizutragen. Denn nicht nur wir brauchen Softwarekompetenzen im Unternehmen, sondern auch unsere Zulieferer und das ganze Umfeld unseres Konzerns. Und welche Rolle spielt für Sie dabei das zugrundeliegende Lernkonzept der 42? Ralph Linde: Ich glaube, dass das Thema Bildung insgesamt unter einem hohen Disruptionsdruck steht. Unser aktuelles Bildungssystem setzt noch immer stark auf die Einzelleistung, nicht auf die Gruppenleistung. Wir müssen aber vor allem dahin gelangen, dass Menschen selbstbestimmter lernen können. Für beides ist das Konzept der Schule 42 ein sehr gutes Beispiel. Die 42 vermittelt auf höchstem Niveau Kompetenzen zur Softwareentwicklung und das mit methodisch neuen Wegen. „ Bildung steht unter Disruptionsdruck“ INTERVIEW. Lernen und Requalifizierung werden für Unternehmen angesichts der Transformation und des Fachkräftemangels immer wichtiger. Doch wir müssen bereit sein, Neues zu wagen und Bildungskonzepte zu überdenken, meint Ralph Linde, CLO von VW. Die Schule 42 vereint viele seiner Ideen zu Teamarbeit und Selbstorganisation. „ Unser Land hat viel Nachholbedarf. Wir müssen gemeinsam die Zukunftskompetenzen entwickeln.“

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