Wirtschaft und Weiterbildung 6/2022

wirtschaft + weiterbildung 06_2022 17 gehensweisen, Prozesse und Strukturen nicht grundsätzlich infrage gestellt werden. Man spielt dasselbe Spiel, nur mit verbesserten Spielregeln. Changemanagement bedeutet, das Bestehende weiterzuentwickeln und die Handlungen der beteiligten Akteure darauf abzustimmen. In einem Changemanagement-Prozess ist die Systemlogik der Vergangenheit der grundlegende Bezugspunkt für den Wandel. In diesem Sinne impliziert Change, dass sich manches ändert, während vieles gleich bleibt. Change wird stets wie ein Projekt gehandhabt, das einen definierten Anfangs- und Endpunkt hat, und somit zeitlich begrenzt ist. Das Ziel ist bekannt und wird im Rahmen der Umsetzung höchstens feinjustiert. „Change“ bedeutet eine Veränderung mit einem klaren Ziel, das alle Beteiligten immer deutlich vor Augen haben. Organisationen und Gesellschaften sind in der Regel träge Systeme. Wandel entsteht in ihnen nicht auf Knopfdruck. Neues löst Altes nicht direkt ab. Es gibt kein Stufenmodell mit klaren Grenzen. Aus einer Raupe wird nicht im nächsten Schritt ein Schmetterling. Stattdessen beginnt die Phase des Puppenstadiums, sogenannte Übergangsphasen werden durchlaufen. Es beginnt eine Zwischenphase, in der sich vieles ändert und in Bewegung ist – eine Phase voller Widersprüche und paralleler Prozesse. Einerseits durchlaufen alte Strukturen einen graduellen Auflösungsprozess, andererseits entwickelt sich langsam etwas Neues und Anderes. Beim Change wird die Funktionslogik der Vergangenheit nicht angetastet Jeder Paradigmenwechsel durchschreitet schwierige Phasen: Es herrschen Verwirrung, Ratlosigkeit, Überforderung, Angst, Werteverfall, Auflösung von traditionellen Ordnungsprinzipien. Gleichzeitig fehlt den Verantwortlichen das Vertrauen. Sie haben Angst, zu versagen oder zu viel oder zu wenig zu wagen. Ihre erste Reaktion in dieser Situation: Sie bewerten das Neue kritisch, stellen es infrage. Wozu braucht es einen Schmetterling, wenn die Raupe bislang hervorragend funktioniert hat? Never change a running system! „Als ich die Entwicklung der Raupe zum Schmetterling verstanden hatte, wurde mir schlagartig klar, warum viele Veränderungskonzepte nicht nachhaltig umgesetzt werden“, schreibt Razavi. „Traditionell werden Transformationen hierarchisch von oben aufgesetzt und vorgegeben. Doch Transformation ist ein Prozess des Entdeckens und Experimentierens, der nicht linear läuft, sondern ein suchender, iterativer, zyklischer Kreationsprozess mit offenem Ausgang, der alle Beteiligten auf intensive Weise herausfordert.“ Die Renaissance gilt als ein wichtiges Musterbeispiel für Transformation Als Vorbild für eine gelungene Transformation stellt Razavi die Renaissance heraus. Sie bezeichnet eine bestimmte europäische Kulturepoche – nämlich den Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit. Bahnbrechende neue Perspektiven ergaben sich gegenüber dem Mittelalter insbesondere für das Menschenbild, für die Literatur, die Bildhauerei, die Malerei und die Architektur. Damals hat sich wie heute ein fundamentaler Wandel im Denken und Handeln vollzogen. Die Parallelen sind unübersehbar, sagt der Renaissancekenner und Da-Vinci-Experte Jens Möller, den Razavi mit folgenden Worten zitiert: „Wie die Menschen damals haben auch wir mit den disruptiven Kräften des wissenschaftlich-technischen Fortschritts zu kämpfen, die fortlaufend Neues entstehen, aber auch Altes verschwinden lassen. So sind die Veränderungen, die zu Leonardos Zeiten durch Innovationen wie die Druckerpressen, die Räderuhren und eine Vielzahl von mechanischen Maschinen ausgelöst wurden, durchaus mit den Innovationen vergleichbar, die wir heute durch Big Data, Digitalisierung und Automatisierung erleben.“ Wir können laut Razavi von der Renaissance und ihren großen Denkern lernen, dass Wandel nicht den Weltuntergang bedeutet, dass wir aber ein neues Mindset brauchen – eine neue Denkweise, die es uns ermöglicht, die zentrale Bedeutung von Kreativität und Innovation zu verstehen und unsere komplexe Welt proaktiv mitzugestalten. Martin Pichler „Geburt“ eines Monarchfalters. Wie kommt es, dass aus einer Raupe ein Schmetterling wird, wo doch beide die gleichen genetischen Informationen besitzen? Es liegt an den Proteinen, die neu gebildet werden und die die Zellen verändern. Foto: blackdiamond67 / Adobe Stock

RkJQdWJsaXNoZXIy Mjc4MQ==