Wirtschaft und Weiterbildung 1/2021
messen und kongresse 48 wirtschaft + weiterbildung 01_2021 innerhalb der letzten 450 Millionen Jah- ren stehen.“ In den nächsten 80 Jahren werde die Hälfte der Arten verschwinden. „Wir haben noch zehn Jahre Zeit, um zu einer klimaneutralen Gesellschaft zu transformieren“, warnt der US-Ökonom. Die Frage sei, wie wir den Übergang vom Zeitalter des Fortschritts zum „Zeitalter der Resilienz“ schaffen könnten. „Es gibt jetzt das Endspiel um fossile Energien“ Alle Paradigmenwechsel in der Wirtschaft haben laut Rifkin eins gemeinsam: Im Moment der Veränderung seien drei Inno- vationen gleichzeitig aufgetaucht. Es gebe eine Revolution der Kommunikation, die mehr Menschen zusammenbringe. Es gebe neue Energiequellen und es gebe neue Transportmöglichkeiten. Wenn diese drei Veränderungen auch jetzt zu- sammenkämen, veränderten sie unsere zeitliche und räumliche Orientierung, un- seren Lebensraum, unsere Geschäftsmo- delle und unsere Führung. In der zweiten industriellen Revolution sei etwa Folgendes zusammengekom- men: die Erfindung von Telefon, Radio, TV, die Nutzung von Öl und neue Trans- portmittel wie das Auto. Das führte zur Ausdehnung der Städte, zur Globalisie- rung, zur Schaffung von internationalen Institutionen wie der UN. Noch heute ba- siere fast alles in unserer Gesellschaft auf den fossilen Energien, vom Dünger über Baumaterial und Elektrizität bis zu phar- mazeutischen Produkten und dem Trans- port. Doch inzwischen seien wir „im End- spiel um fossile Energien“. „Die Industrie steht vor dem Zusammenbruch, weil die Sonnen- und Windenergie inzwischen billiger ist als Gas und Öl“, so Rifkin. Als Angela Merkel Bundeskanzlerin wurde, habe er sie beraten, wie die deutsche Wirtschaft ein langfristiges Wachstum sichern könne. Er habe ihr erklärt, dass das nicht möglich sei, solange man in der alten Infrastruktur agiere. „Effizienz und Produktivität sind ausgereizt“, sagt Rif- kin, der die EU seit 20 Jahren berät. In der dritten industriellen Revolution werden sich folgende drei Infrastruktur- bereiche verbinden: Durch die digitale Kommunikation könnten Millionen Men- schen weltweit Informationen, Wissen und Entertainment teilen. Neben den traditionell kapitalistischen Plattformen wie Amazon und Facebook gebe es auch viele Nonprofit-Angebote wie unzählige kostenlose Onlinekurse, Blogs und Wiki- pedia, wo Millionen Menschen das Wis- sen demokratisierten und sich gegenseitig kontrollierten. Dasselbe sehe man nun auch im Bereich der Elektrizität. Millionen Menschen, Ge- meinden und Betriebe produzierten ihre eigene Sonnen- und Windenergie und was sie nicht selbst benötigten, schickten sie durch ein digitalisiertes und smar- tes Elektrizitätsnetzwerk und teilten es weltweit und das Ganze sei auch noch klimaneutral. „Sie nützen dieselben Tech- nologien, mit der sie Informationen teilen auch, um Elektrizität zu teilen“, so Rifkin. „Das ist die Demokratisierung des Ener- giemarkts.“ Dazu komme als Drittes das Mobilitäts- und Logistiknetzwerk mit au- tonom fahrenden elektrischen Autos, die wiederum durch die Kommunikations- „Seit zwei Jahrzehnten sinkt das Brut- toinlandsprodukt weltweit“, erklärte Je- remy Rifkin. Grund dafür sei, dass die Produktivität überall auf der Welt ab- genommen habe. Daher habe es auch schon vor der Pandemie eine strukturelle Arbeitslosigkeit in den Industrie- und Ent- wicklungsländern gegeben. „Die Wissenschaftler prognostizieren deshalb für weitere 20 Jahre eine geringe Produktivität und ein langsames Wachs- tum“, betonte der US-Ökonom auf der internationalen Konferenz „Enlighted 2020“, die wegen Corona diesmal nur virtuell stattfand. Auf der von der spani- schen IE University zusammen mit meh- reren Partnern organisierten Konferenz für Bildung, Technologie und Innovation referierten und diskutierten mehr als 90 internationale Denker über die Herausfor- derungen unserer Gesellschaft. Heute stehe zwar die Hälfte der Mensch- heit wirtschaftlich besser da als ihre Vor- fahren vor der industriellen Revolution, aber weitere 45 Prozent verdienten nur fünf Dollar oder weniger pro Tag und seien daher oftmals sogar schlechter dran als früher. Dafür gehe es den sehr Rei- chen immer besser. „Heute besitzen die acht reichsten Menschen der Welt zusam- men mehr als die Hälfte der Menschheit zusammen“, erklärte Rifkin, Gründer und Vorsitzender der Foundation on Econo- mic Trends in Washington D.C. Mit dem Klimawandel und der Erderwär- mung ständen wir heute außerdem vor enormen Herausforderungen, die nach ra- dikalen Veränderungen schrien. „Wissen- schaftler sagen, dass wir vor der sechsten Auslöschung des Lebens auf der Erde Dank Corona auf dem Weg in eine neue Gesellschaftsform ZUKUNFTSFORSCHUNG. Für den US-Ökonomen Jeremy Rifkin von der Wharton School an der Universität von Pennsylvania stehen die Industriestaaten an der Schwelle zu einer resilienten Gesellschaft mit einem neuen Wirtschaftsmodell und neuen Jobs. Wie die Zukunft aussehen könnte, beschrieb der Wissenschaftler auf der internationalen Onlinekonferenz „Enlighted 2020“.
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy Mjc4MQ==