Wirtschaft und Weiterbildung 1/2021

wirtschaft + weiterbildung 01_2021 37 Wenn „live“ neuerdings „online“ geht, gibt es ein paar Restriktionen, dafür aber auch viele Vorteile. Die erste Herausforde- rung ist das hohe Maß an Interaktivität, das ein Training im Seminarraum aus- zeichnet. Wenn wir von einem Live-On- line-Training sprechen, meinen wir damit die Übersetzung eines typischen Präsenz- trainings, zum Beispiel zum Thema Füh- rung mit einer Dauer von normalerweise zwei Tagen, in ein Live-Online-Trainings- format. Das ist der große Unterschied zum Webinar: Ein echtes Training sollte eine Teilnehmenden-Interaktivität von 60 bis 80 Prozent haben, eine reine Inhalts- vermittlung hat hier nichts zu suchen. Das gilt online genauso. Deshalb ist es wichtig, Webinare didaktisch ganz klar von Trainings abzugrenzen. Aus dieser Unterscheidung ergibt sich Folgendes: Ohne Kamerabild und ohne Breakout-Sessions lässt sich ein Live- Online-Training nicht durchführen, es sei denn, die Gruppe wäre so klein, dass eine weitere Unterteilung in Breakout-Räume gar nicht notwendig wäre. Eine zweite Herausforderung liegt in der Rolle der technischen Moderation. Je interaktiver Sie als Trainer arbeiten, umso stärker sind Sie auf die Unterstützung von jeman- dem angewiesen, der das Tool perfekt beherrscht, für die Gruppeneinteilung zuständig ist, den Chat betreut, die jewei- ligen Materialien genau zur richtigen Zeit in den Chat postet oder per E-Mail ver- sendet, beim technischen Troubleshoo- ting unterstützt. Wer glaubt, all diese zu- sätzlichen Aufgaben neben der Rolle als Trainer zu beherrschen, dem empfehlen wir die Lektüre des Buchs „Multitasking“ vom schwedischen Neurowissenschaftler Torkel Klingberg. Seine Botschaft: Multi- tasking ist ein Mythos. Was auf der Autobahn zu Unfällen führt, weil Menschen glauben, bei Tempo 180 nebenbei Whatsapp-Nachrichten be- antworten zu können, führt in einer Live-Online-Veranstaltung nicht selten zu merkwürdigen Sprechpausen oder einem wenig intelligenten Blick in die Ka- mera, weil die betreffende Person gerade mit einem PowerPoint-Problem kämpft. Wenn Sie Trainer sind, sollten sie darauf achten, die Rolle der oder des technisch Moderierenden sauber von Ihrer eigenen Rolle zu trennen. Die dritte Herausforde- rung ist der Faktor Zeit. Was Lernziele, Zielgruppenanalyse und Persona-Design anbelangt, gilt natürlich für das Design von Live-Online-Trainings und damit die Planung und Umsetzung von Online- Learner-Journeys alles, was auch für klassisches Präsenzlernen gilt. Die Beson- derheit bei Live-Online-Trainings besteht darin, dass Sie weniger Zeit haben und schneller, fokussierter, klarer sein müssen in Ihren Inputs und Instruktionen. Auch Gruppenübungen und Rollenspiele sind in der Regel deutlich kürzer als in einem typischen Präsenztraining. Eine gründli- che Vorbereitung ist daher unerlässlich. Sie brauchen einen Ablauf, der am besten minutengenau designt ist. Ein Tool, das sich dafür eignet, ist „Sessionlab“. Wie gestalten Trainer ihren virtuellen Raum? Aus der Trainerperspektive beginnt ein Training meist so: Man reist idealerweise schon am Vorabend am Trainingsort an und bereitet den Raum vor. Das heißt Raumaufstellung prüfen, Material für alle Übungen einräumen, Stühle mit dem Teilnehmenden-Kit bestücken, weiteres Material aufbauen, zum Beispiel ent- sprechende Hintergründe für einzelne Übungen oder Rollenspiele, Musik für die Begrüßung der Teilnehmenden auswäh- len. Außerdem checkt man mit dem Hotel noch einmal den genauen Ablauf der Pausen, die Menüauswahl für das Mit- tagessen. Auch der virtuelle Raum muss vorbereitet werden: Charts zeichnen, Hin- tergründe auswählen und in die entspre- chende Software hochladen, Material und Anweisungen für Gruppenübungen vor- bereiten und bereithalten und auch an die Musik während der Pausenzeiten denken (GEMA nicht vergessen). Deshalb ist ein Live-Online-Training auch nicht weniger aufwendig als ein klassisches Präsenz- training. Die Vorbereitung ist oft sogar intensiver, und der Technikcheck etwa eine Stunde vor dem Start ist zwingend notwendig. Was ist die ideale zeitliche Verteilung des Trainings? Von einer Eins-zu-eins-Übersetzung eines Präsenztrainings von zum Beispiel zwei Tagen Dauer auf zwei Tage Live-Online- Training raten wir ab. Die aus unserer Sicht optimale Variante lautet, das Zwei- Tage-Training auf viermal vier Stunden aufzuteilen, Teil 1 und 2 jeweils an aufei- nanderfolgenden Tagen, Teil 3 und 4 zum Beispiel eine Woche später. Die Bünde- lung von zweimal vier Stunden an zwei aufeinanderfolgenden Tagen sorgt für das Gefühl, wirklich an einem Training teilzu- nehmen. So bekommen Sie mehr Grup- penatmosphäre, verglichen mit beispiels- weise viermal vier Stunden auf insgesamt vier Wochen verteilt. Je interaktiver eine Online-Session wird, umso stärker spielt die Kompetenz der Teilnehmenden eine Rolle – zum Beispiel mit Blick auf das Handling von Breakout Sessions und die Nutzung von Whiteboards. Die gute alte Regel, sich immer nach dem schwächsten Glied zu richten, ist online kompliziert umzusetzen, da die anderen Teilnehmenden nicht wirklich mitbe- kommen, welche Person für das Show Stopping verantwortlich ist. Aus diesem Grund müssen Sie in Live-Online-Trai- nings wohl oder übel manchmal ein paar Teilnehmende zurücklassen. Insgesamt gilt: Der digitale Reifegrad entscheidet sehr stark über die Geschwindigkeit im Praxis. Zurzeit wandern so gut wie alles ins Virtuelle: Meetings (komplexer als gedacht), Präsen- tationen (intensiver als gedacht), Trainings (interaktiver als gedacht) und Konferenzen (realistischer als gedacht). Die Trainer Albrecht Kresse und Jannis Herzog zeigen in ihrem Buch „Live Goes Online“ (Abbildung Seite 39), worauf es in der täglichen Praxis ankommt. Obwohl das Buch ausgesprochen aktuell ist, wurde es nicht mit heißer Nadel gestrickt, sondern überzeugt mit gründlich erprobten Anleitungen. So verfliegt die Angst vor peinlichen Fehlern. Motto des Jahres: Live goes online R

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