Wirtschaft und Weiterbildung 2/2021
wirtschaft + weiterbildung 02_2021 49 sönliche Eignung und das mit der Agilität verbundene Persönlichkeitsprofil in der Regel zu kurz. In agilen Teams müssen gleichberechtigte Menschen viele Dinge in zum Teil heftigen Diskussionen aus- handeln. Das fällt extrovertierten Men- schen viel leichter als introvertierten. Wenn nicht mit einem entsprechenden Regelwerk gegengsteuert wird, dann kommt es dank agiler Arbeitsformen zu einer Vorherrschaft der Lauten und Extro- vertierten. Die Organisationspsychologen haben dafür schon den Begriff „Survival of the Fittest“ geprägt. Für Unternehmen stellt sich die Frage, wie man mit Mitar- beitern umgehen will, die nicht mithalten können und auch nicht wollen. Rump: „Um diese Entwicklung hin zu den Lau- ten zu vermeiden, müssen ein stärkeno- rientierter Einsatz im Team sowie Team- regeln und ein Moderator implementiert werden.“ Ein großes Problem besteht für agile Or- ganisationen auch rund um das Thema Führung. Zentralität von Macht, Status- symbole, Wertschätzung durch hierarchi- sche Positionen und Monopolstellungen im Unternehmen sind mit agilen Arbeits- formen kaum vereinbar. Stattdessen wer- den Entscheidungsbefugnisse ebenso wie Verantwortung delegiert, Macht wird ge- teilt und umverteilt, Hierarchien werden flacher, es findet eine Demokratisierung statt, Monopole werden aufgelöst. Es stellt sich laut Rump die Frage, ob Führungskräfte darauf vorbereitet und auch dazu bereit sind. Es reicht somit nicht mehr aus, einen Führungsstil im Sinne der Managementlehre zu prakti- zieren. Neben Managementstil und Ma- nagementinstrumenten braucht es eine Leadershipphilosophie mit den entspre- chenden Skills und Einstellungen. Laut Rump lassen sich folgende zwei Thesen formulieren: Je konsequenter im Kontext von Agilität gearbeitet wird, umso mehr braucht es Leadership Skills. Und: Je konsequenter agil gearbeitet wird, umso weniger braucht es Führung im traditio- nellen Sinne und umso mehr übernimmt das Team Führungsaufgaben und -rollen. Die Auswahl und die Qualifizierung von Führungskräften stehen diesen beiden Thesen jedoch oft entgegen. Ein Blick auf den agilen Leadership-Stil macht deut- lich, dass es sich hierbei um Denkmuster und Verhaltensweisen handelt, die eher einer inneren Haltung entsprechen und genau betrachtet, weniger als Tools zu bezeichnen sind. Menschen, die in agilen Teams schnell In- novationen generieren sollen, berichten davon, dass es kontraproduktiv ist, wenn ein Teammitglied oder mehrere Teammit- glieder auf die Uhr schauen und feststel- len, dass sie jetzt gehen mussen, um die Kinder von der Kinderbetreuung abzuho- len oder den geplanten Sportaktivitaten nachzugehen. Nach Aussagen einiger Praktiker ist die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben nur bedingt mit der agi- len Organisation kompatibel. Das Spannungsfeld zwischen Agilitat und Lebensphasenorientierung kann zudem auch entscheidend zur Kultur des „Sur- vivial of the Fittest“ beitragen. Denn zu „the fittest“ zahlen nicht nur die Extro- vertierten und Lauten, sondern auch die unbegrenzt Verfugbaren, die durch Ihre Anwesenheit auch Teammaßstabe set- zen konnen. Aus Sicht derer, die Agilitat aus okonomischen Uberlegungen heraus fordern, taugen diejenigen, die quasi von ihrer Lebenssituation ausgebremst wer- den, nicht wirklich fur den agilen Prozess und mussen aussortiert werden – obwohl sie die Erfahrung hatten, wertvolle Im- pulse in agile Prozesse einzubringen. Agilität braucht Rahmen Laut Rump sind folgende Rahmenbedin- gungen relevant: • Aufgaben, die Routinen darstellen und die starre, unveränderbare Strukturen und Abläufe brauchen, eignen sich nicht für agile Arbeitsformen. Stattdessen müs- sen Aufgaben in einem agilen Design ein Optimierungspotenzial beinhalten und das Ziel von Innovation oder zumindest Verbesserung, Veränderung, Weiterent- wicklung verfolgen. Zudem bedarf es einer Kompatibilität mit dem Geschäfts- modell. • Agile Organisations- und Arbeitsfor- men brauchen Regeln und Strukturen. Zwar ist mit Agilität Selbstorganisation, Selbstbestimmtheit und mehr oder we- niger Hierarchiefreiheit verbunden, den- noch muss die Freiheit genau definiert werden. Neben den Regeln müssen Rol- len, die notwendig sind, besetzt werden. Gleichzeitig müssen die Teammitglieder diese Rollen auch annehmen. Rollen- wechsel müssen übernommen und ak- zeptiert werden. Agilität ist nicht gren- zenlose Freiheit: „Sonst feiert jeder seine agile Party.“ • Da agile Organisations- und Arbeits- formen mit Partizipation und Demokra- tisierung sowie Delegation von Entschei- dungsbefugnissen und Verantwortlich- keiten verbunden sind, bedarf es der Bereitschaft und der Fähigkeit der Mitar- beiter und Führungskräfte, diesen Wandel zu vollziehen und sich unter den verän- derten Arbeitsbedingungen einzubringen. • Für das Funktionieren von agilen Or- ganisations- und Arbeitsformen ist eine Kompatibilität mit der Unternehmenskul- tur unerlässlich. Eine solche Unterneh- menskultur beinhaltet eine konstruktive Fehlerkultur, eine wertschätzende Feed- backkultur, eine offene Kommunikations- kultur, eine übergreifende Kollaborations- kultur, eine zielgerichtete Leistungskultur, eine umfassende Innovationskultur sowie eine Kultur des gegenseitigen Respekts. • Eine Voraussetzung für Agilität stellt Transparenz dar. Wissen um die Unter- nehmensdaten ist ein zentraler Faktor. Nur so können die Mitarbeitenden die Rolle „Träger von Verantwortung“ anneh- men und gestalten. • Grundsätzlich setzt das hierarchiefreie Arbeiten in agilen Teams eine gewisse Gleichheit in der Gehaltsstruktur voraus. Martin Pichler Foto: FH Ludwigshafen Prof. Dr. Jutta Rump. Erregte Aufsehen mit neuer Studie zur Agilität.
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