Wirtschaft und Weiterbildung 2/2021

aktuell 12 wirtschaft + weiterbildung 02_2021 Für Berater kann es gefährlich werden, wenn sie eine zu persönliche Beziehung zu ihren Kunden entwickeln. Seit Jahren geistert der Begriff „Trusted Advisor“ durch die Beraterszene. Es wird suggeriert, man müsse zum Kunden eine serviceorientierte Vertrauensbeziehung aufbauen. Es stimmt, dass Stammkunden meist die lukra- tivsten Kunden sind, weil man als Berater sie und ihr Geschäft sowie ihre Denke und ihre Präferenzen kennt. Deshalb entfällt das Einarbeiten, das bei Neukunden nötig ist. Zudem entfallen die vielen Überarbeitungsschleifen, die erforderlich sind, wenn man die Vorlieben und zentralen Bedürfnisse von Neukunden noch nicht kennt. Doch ist hierfür nötig, eine Art „väterlicher Freund“ der Kunden zu werden, dem sich die Kunden mit all ihren Sorgen und Nöten anvertrauen? 90 Prozent meines Umsatzes erziele ich mit Kun- den, die seit über zehn Jahren treu sind. Doch sind diese Kunden auch meine Freunde? Nein! Sie sind Geschäftsfreunde, die ich auch als Mensch schätze. Faktisch ist (und bleibt) unsere Beziehung eine nüchterne Geschäftsbeziehung, auch wenn wir in unseren Gesprächen oft lachen und zuweilen auch über Privates schwatzen und man sich wech- selseitig auch immer mal wieder (unentgeltlich) hilft. Ein väterlicher Freund (gibt es hierzu eigentlich ein weibliches Pendant?) bin ich für unsere Kunden jedoch nicht, obwohl ich graue Haare habe. Bei allen Kunden, die meine Fans waren und die mich als Freund ins Herz geschlossen hatten, endete die Geschäftsbeziehung nach zwei oder drei Jahren – und zwar aus folgenden Gründen: 1. Diese Kunden schoben irgendwann jeden Mist, der direkt oder indirekt etwas mit Marketing und Vertrieb zu tun hatte, an mich und mein Team wei- ter – in der Regel mit einer kurzen Mail nach dem Motto „Herr Berater, können Sie mal kurz …“. Die Kunden kamen nicht auf die Idee, erst sich selbst einmal mit dem Problem zu befassen und eigen- ständig nach einer Lösung zu suchen. Deshalb war ich fortlaufend mit irgendwelchen Services für diese „Freunde“ beschäftigt. Und selbstver- ständlich wollten die Kunden nichts dafür bezahlen bis irgendwann von mir das Signal kam: „Bei aller Servicebereitschaft, so geht es nicht!“ Woraufhin meine Fans von ihrem „Trusted Advisor“, also von mir, bitter enttäuscht waren. 2. Diese Kunden weigerten sich also, sich ernsthaft mit den Themen Marketing und Vertrieb zu befas- sen, obwohl zumindest der Vertrieb ein Kernprozess für jeden Selbstständigen und jeden Betrieb ist und auch mit beraterischer Unterstützung bleibt. Stattdessen schob man alles an den „Trusted Advi- sor“ weiter, der es für sie erledigen sollte. Deshalb erfolgte beim Kunden selbst auch kein Kompetenz­ aufbau. Man blieb hilflos und abhängig wie ein Kind. Und letztlich war der „Trusted Advisor“ auch daran schuld, wenn die Umsätze hinter den Erwartungen des Kun- den zurückblieben – weshalb diese Kun- den sich nach einigen Jahren einen anderen Berater zum Müllabladen suchten. Entsprechend ambivalent ist heute meine Haltung zum Thema „Trusted Advisor“. Ich bin gerne ein „Tru- sted Advisor“ für Kunden, die sich als Unternehmer verstehen und auch entsprechend handeln. Inner- lich unruhig werde ich aber, wenn „Trusted Advisor“ heißt, ich sei das „Mädchen für alles“ und habe auch noch die Verantwortung zu tragen, die der Unternehmer selbst nicht tragen möchte. Gastkommentar Ein Kunde als bester Freund? Bernhard Kuntz Bernhard Kuntz ist der Gründer und Inhaber der Agentur „Die Profilberater GmbH“, Darmstadt, die Bildungs- und Beratungsanbieter beim (Online-)Marketing unter- stützt. Er ist Autor unter anderem der Bücher „Die Katze im Sack verkaufen“, „Fette Beute für Trainer und Berater“ und „Warum kennt den jeder?“. www.die-profilberater.de Ein Trusted Advisor ist oft nur ein schlecht bezahltes Mädchen für alles. „ „

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