Wirtschaft und Weiterbildung 4/2021

R wirtschaft + weiterbildung 04_2021 45 die sich zu stark puschen, weil sie glau- ben, sie müssten ein körperliches Ideal erreichen. Grundsätzlich gibt es im Yoga zwei Strömungen. Bei den einen – wie dem Iyengar-Yoga – muss alles immer un- glaublich exakt sein. Die anderen sagen, der Körper ist gar nicht so wichtig, der Atem muss im Vordergrund stehen. Ich bin eher ein Fan von Letzterem. Für mich ist die Essenz des Yoga, dass sich eine gute Haltung von allein aus einer guten Atmung entwickelt. Aber man kann auch den Weg über Exaktheit und körperliche Bewusstheit gehen und dann wird sich auch der Atem anpassen. Beides wirkt nach dem energetischen Prinzip. In Ihrem Buch beschreiben Sie Übungs- sequenzen aus verschiedenen Yoga- Schulen. Was bringt der Mischmasch? Broome: Als Yoga-Lehrer sollte man immer das unterrichten, was für einen selbst funktioniert. Für mich waren das viele Wege und die stelle ich in dem Buch vor. So kann jeder sehen, was ihm eher liegt. Will ich am liebsten nur liegen und atmen oder muss ich mich körperlich austoben? Mir geht es darum, möglichst viele Türen aufzumachen, damit mög- lichst viele Menschen ihren Weg zum Yoga finden. Was hat Yoga mit Achtsamkeit zu tun? Broome: Achtsamkeit bedeutet, dass wir uns ganz auf den Moment einlassen und nicht mit dem beschäftigen, was heute noch kommt oder was alles bisher nicht geklappt hat. Es geht also darum, präsent zu sein, und am präsentesten bin ich, wenn ich nicht denke, sondern fühle. Wenn ich mich auf den Körper konzen- triere, entsteht Achtsamkeit. Yoga kann uns durch bewusste Atmung und Be- wegung helfen, im Hier und Jetzt anzu- kommen. Das ist ein kurzer Moment, der unser ganzes System enorm entlastet, weil wir nicht mit unseren Sorgen, unse- rer Trauer oder unseren Zweifeln beschäf- tigt sind. Das gibt uns wieder den Hand- lungsspielraum, frei zu entscheiden, wie wir auf eine aktuelle Situation reagieren möchten. Die Coronapandemie löst bei vielen Gefühle wie Angst, Wut oder Hilflosigkeit aus. Kann Yoga helfen, besser mit der Situation umzugehen? Broome: Die einen haben Angst und die anderen werden wütend. Die Yoga-Philo- sophie lehrt uns, dass uns nicht die Dinge an sich ängstlich oder wütend machen, sondern unsere Art darüber zu denken. Wir haben also immer auch einen persön- lichen Anteil daran, wie wir uns fühlen. Die einen finden den Lockdown gut, weil sie so sicherer vor der Krankheit sind. Die anderen finden ihn furchtbar, weil sie sich in ihrer Freiheit beschränkt sehen. Das sind Glaubenssätze, die wir erken- nen, wenn wir bewusster sind und sie hinterfragen können. Ist es für mich ge- rade hilfreich, so zu denken, oder nicht? Unterstützt es mich, jetzt wütend zu sein, weil meine Yoga-Studios seit Monaten ge- schlossen sind? Nein. Das muss ich eben so hinnehmen. Das bedeutet aber nicht, willenlos zu werden. Ich bleibe mir selbst treu, aber ich tue etwas für mein Wohl- befinden. Viele leiden unter ihrer Einsamkeit. Aber da helfen auch keine Yoga-Übungen ... Broome: Klar, einsam bleibe ich trotz- dem. Das brauchen wir nicht schönzure- den. Aber Yoga kann uns helfen, uns in der belastenden Situation trotzdem eini- germaßen wohlzufühlen, indem wir an- dere Dinge tun, die uns guttun. Die einen trinken Wein und fühlen sich gut und ent- spannt, schädigen damit aber langfristig ihren Körper. Mit Yoga kann ich ein ähn- liches Gefühl der Entspannung und Ruhe in mir schaffen, ohne mich langfristig zu schädigen. Ein anderes Schlagwort, das derzeit oft auftaucht, ist Resilienz. Erhöht Yoga meine Widerstandskraft? Broome: Wenn jemand nicht wider- standsfähig ist, hat das immer viele Kom- ponenten und Ursachen. Durch Yoga kräf- tigen wir unseren Körper. Das gibt schon mal ein bisschen Halt und wir stabilisie- ren unsere Emotionen und unser Denken. Aber Resilienz hat auch etwas damit zu tun, wie wir als Kind gelernt haben, mit Misserfolgen umzugehen. Ob wir gelernt Foto: Grit Siwonia Dr. Patrick Broome. Er praktiziert seit 25 Jahren Yoga und wurde in Indien und den USA umfas- send ausgebildet. „ Für mich ist Yoga angewandte Psychologie, mit der wir Menschen helfen, wieder zu sich zu kommen.“

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