Wirtschaft und Weiterbildung 4/2021
personal- und organisationsentwicklung 34 wirtschaft + weiterbildung 04_2021 den gemeinsam durch Überzeugung der Beteiligten statt Anweisungen aus der Hierarchie getroffen. Durch diese Kolla- boration entsteht ein gemeinschaftliches Leistungsversprechen: Lernen in der Or- ganisation zu fördern und dafür die un- terschiedlichen Kompetenzen und Ange- bote der Akteure im Sinne der Lernenden zu integrieren. Auf technologischer Seite muss die Inter- aktion der unterschiedlichen Akteure und ihrer Angebote so unterstützt werden, dass alle Elemente des Systems mitein- ander in Verbindung stehen und Daten austauschen können. Um eine möglichst hohe Adaptivität zu gewährleisten, müs- sen neue Elemente möglichst schnell in- tegrierbar und auch wieder abkoppelbar sein. Da die Quantität an Lernformen und -angeboten zukünftig noch weiter zunehmen wird und diese über unter- schiedlichste Formate, Lernplattformen, Arbeitstools und Technologien abgebil- det werden, muss sichergestellt werden, dass Lernende auf diese digitalen und analogen Lernressourcen jederzeit und durchgängig, bedarfsorientiert und mit jedem Endgerät zugreifen können. Um in dieser Vielfalt Zugang zu Relevantem zu ermöglichen, sind entsprechende Ori- entierungsangebote beziehungweise Un- terstützungsformen für die Lernenden erforderlich (Lernempfehlungen, Orien- tierungsfunktionen, Hinweise). Diese kurze Betrachtung zeigt, dass sich Lernen in der Organisation immer weiter ausdifferenzieren wird. Nicht zuletzt, um den unterschiedlichen Bedürfnissen auf individueller und organisationaler Ebene gerecht werden zu können und eine hohe Anpassungsfähigkeit zu gewährleisten. Der Ökosystemansatz bietet dafür eine ganzheitliche Gestaltungsperspektive, mit der sich ein tragfähiger Rahmen für die Interaktion zwischen Menschen, Lernformaten, -inhalten und Technolo- gie entwickeln lässt, der zum einen die hohe Differenzierung und schnelle An- passungsfähigkeit fördert, zum anderen auch alle Elemente so integriert, dass eine durchgängige und nahtlose Learning Experience geschaffen werden kann, die den Lernenden die schnellstmögliche nachhaltige Kompetenzentwicklung er- möglicht. Ansatzpunkte zur Gestaltung des Lernökosystems Ansatzpunkte für die Weiterentwicklung des Lernökosystems in der Praxis sind in der Abbildung auf Seite 33 dargestellt. Wir greifen im Folgenden die äußeren Ge- staltungsdimensionen auf, die den Rah- men für die Gestaltung der physischen und virtuellen Lernräume aufspannen. Die sozial-organisationale Ebene Auf der sozial-organisationalen Ebene müssen zu Beginn Purpose, Vision und Strategie klar herausgearbeitet werden, um die sich anschließenden Learning Ecosystem Governance Aufgaben entspre- chend ausrichten zu können. Governance tritt an die Stelle hierarchischer Kontrolle und muss Leitlinien entwickeln, die der Komplexität und Dynamik des Ökosys- tems gerecht werden. Darunter fallen zum Beispiel die Klärung der Rollen und Verantwortlichkeiten, Standards und Pro- zesse, Investitionsentscheidungen, De- finition der grundlegenden (Daten- und Technologie-) Architektur, die Erstellung von Service Level Agreements sowie aller anderen Aspekte, die der Regelung bedür- fen, um die unterschiedlichen Elemente integrieren zu können und die Zusam- menarbeit zu koordinieren. Strategische Vorgaben können dadurch umgesetzt und mit den Erfordernissen aller Stakeholder abgestimmt werden. Dem Governance- System kommt eine große Bedeutung zu, da unklare Governance einer der häufigs- ten Gründe für das Scheitern von Busi- ness-Ökosystemen ist. Ein besonderes Augenmerk muss hierbei auf das Ausmaß an Offenheit zu anderen Systemen gelegt werden. Eine höhere Öffnung ermöglicht eine größere Vielfalt an Angeboten und Inhalten sowie eine schnellere Aufnahme innovativer Tech- nologien, erschwert jedoch die Orches trierung des Systems und die Orientie- rung der Lernenden. Zusammen mit den entsprechenden Füh- rungsansätzen sowie lernförderlichen Strukturen und Prozessen gestalten diese Elemente den Rahmen für die im Ökosys- tem gelebte Lernkultur. Die kontinuierli- che Förderung der Lernkultur bleibt auch bei der Nutzung des Ökosystemansatzes ein entscheidender Faktor. Weiter an Bedeutung zunehmen wird dabei das Stakeholder Management. Der Blick muss erweitert werden auf alle re- levanten Interessens- und Zielgruppen. Dies inkludiert dezentrale interne Akteure unterschiedlicher Bereiche genauso wie externe Akteure, sowohl auf Anbieter- als auch auf Lernerseite (zum Beispiel tem- porär Beschäftigte, Gig-Worker, Zulieferer, Kunden). Durch den Ökosystemansatz wird die Aufmerksamkeit insbesondere auf die Verknüpfung dieser organisatio- nalen Aspekte mit der technologischen Ebene gelenkt. Die technologische Ebene Mit zunehmender Digitalisierung der Lernangebote kommt insbesondere der genutzten Technologie- und Datenarchi- tektur eine bedeutende Rolle zu. Bedürf- nisorientiertes, adaptives Lernen und eine R Praxis. Organisationen, die den Learning Ecosystem Ansatz bereits aktiv verfolgen, sind zum Beispiel Audi, Siemens, IBM, Mercedes Benz Consulting. Audi beschreibt hierbei insbesondere den Fokus auf die geschaffene Lerninfrastruk- tur, die sowohl virtuelle als auch physische neue Lernräume integ- riert (Hornung, 2020). Darüber hin- aus griff Audi die oben aufgeführ- ten Gestaltungsdimensionen zum Beispiel in der Umsetzung von User Stories beziehungsweise überge- ordneten Epics auf. Siemens nutzt den Ansatz des Lernökosystems, um ein „Learning Multiverse“ mit vielfältigen Optionen und starker Vernetzung nach außen zu gestal- ten, um Top-down- und Bottom-up- Aktivitäten zu integrieren, schnel- ler auf Veränderungen reagieren zu können und die Corporate Learning Funktion neu zu positionieren: als aktiver Treiber der Digitalen Trans- formation (Schmitz, Foelsing, Lie- bert & Korkut, 2020). Beispiele
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