Wirtschaft und Weiterbildung 4/2021
wirtschaft + weiterbildung 04_2021 31 Arbeiten unsauberer erledigt werden oder dass man sich mit Dingen beschäftigen kann, die nicht der unmittelbar der ei- gentlichen Aufgabe dienen. Meist entscheidet man sich für Maßnah- men zur Effizienzsteigerung. Man basiert diese Entscheidungen auf der Erfahrun- gen aus der Vergangenheit, auf Bench- marks oder Best practices und unterlegt sie mit Kennzahlen. Ist das Umfeld stabil oder moderat dynamisch kann das auch gut funktionieren. Hat man es aber mit hoch dynamischen, wenig prognostizier- baren, schnellen und unsicheren Ent- wicklungen zu tun, kann man nur hof- fen, dass durch einen akzeptierten (wenn auch nicht direkt entschiedenen) Slack ... • Mitarbeitende die Freiräume dazu nutzen, sich über neue Ideen auszu- tauschen, die sich unter veränderten Umständen als wertvolle Innovation herausstellen • nützliche Puffer des plötzlich knappen Rohstoffs oder des sprunghaft nachge- fragten Produkts als Umsatz- und Ge- winnbringer herausstellen • funktionierende Abkürzungen in Pro- zessen bei massiven Störungen einen wertvollen Notbetrieb ermöglichen und somit wenigstens über die „Durststre- cke“ überwinden helfen. Man entscheidet sich also für Effizienzen. Im Schatten dieser Entscheidungen wird sich dann mit der Zeit ein gewisser Slack entwickeln – informell und unter dem Radar. Man könnte aber auch umgekehrt vorgehen, indem man sich bewusst fragt, wo man organisatorische Fettpolster zu- lässt und eben nicht „hebt“. Man fragt also quasi nach „Nicht“-igkeiten: • Welche Effizienzpotenziale wollen wir nicht ausschöpfen (zum Beispiel durch Automatisierung), weil wir darin eine Chance sehen, auf Störungen schneller und flexibler reagieren zu können (weil das Menschen mit Erfahrung besser und schneller hinbekommen können)? • Welche Abteilungen trimmen wir nicht so sehr nach Verrechenbarkeit und Kos- tenmanagement, weil wir uns davon Impulse für neue Produkte, Vorgehens- weisen versprechen? • Welchen Blick auf unsere Abläufen ver- stellen wir uns, indem wir nicht nach mehr Stringenz, Standardisierung und Kontrolle schauen? • Welche „Fürstentümer“ lassen wir in unserer Organisation unangetastet, weil diese bestimmte Machtstellen (zum Beispiel Kundenschnittstellen) besetzen und nehmen daher lieber immer wiederkehrende (und zeitauf- wendige) Konflikte in Kauf? Die Bereitschaft, sich auf solche Fragen einzulassen, eröffnet die Chance, Alter- nativen und andere Entwicklungen be- sprechbar zu halten oder (wieder) zu ma- chen. Darauf aufbauend könnten dann auch andere Entscheidungen durchdacht werden: • Was würde dabei leichter? • Was würde man sich einhandeln? • Was würde man ausblenden? • Wo entstehen „blinde Flecken“? In der Realität ist das in einer Organisa- tion nicht einfach (unter anderem aus einem Selbstschutz vor zu viel Kom- plexität, Unruhe oder der Befürchtung einer Ziellosigkeit) und manchmal auch nicht möglich, weil andere Sichtweisen als tabu gelten. Solche Fragen zu stel- len, ist immer mit einem Risiko für den Fragenden verbunden, dass man es mit starken Kräften und Überzeugungen zu tun bekommt, die diese neuen / ande- ren Perspektiven im Raum des „blinden Flecks“ und „Tabus“ halten wollen. Wo es aber möglich ist und gefördert wird, eröffnet es die Chance, Neues zu sehen und eine für das eigene Unternehmen passende Balance im Dilemma zwischen einem Effizienzextrem (mit der einherge- henden Unflexibilität, auf schnelle Ver- änderungen reagieren zu können) und einer Überfettung (und damit ebenfalls einer Inflexibilität auf Grund anderer Wirkungsweisen) immer wieder zu über- prüfen, zu justieren oder umfangreichere Veränderungen zu initiieren. Wolfgang Karrlein Vorbild Toyota?! Am 10. Februar 2021 gab der japanische Autokonzern Toyota bekannt, dass man von der globalen Knappheit an Halbleitern, die die Autobranche gerade in die Knie zwinge, nicht betroffen sei. Toyota habe in dem im März 2021 endenden Geschäftsjahr 9,7 Millionen Fahr- zeuge verkauft: 310.000 Stück mehr als noch im Novem- ber 2020 erwartet. Mitbewerber wie Honda oder Nissan erklärten zum selben Zeitpunkt, dass sie wegen der Halb- leiterknappheit ihre Absatzprognosen um 100.000 bezie- hungsweise 150.000 Fahrzeuge verringern müssen. Toyota verriet überraschenderweise, dass man im Rah- men von Notfallplänen Halbleitervorräte für vier Monate angelegt habe. Diese Läger stehen im Widerspruch zum bisherigen Just-in-time-Produktionssystem, das nach dem 2. Weltkrieg von Toyota selbst erfunden wurde („Der Toyota Weg“). Toyota-Manager erklär- ten, dass man nach der Finanz- krise 2008 und nach der Nukle- arkatastrophe von Fukushima 2011 angefangen habe, über eine sinnvolle Lagerhaltung neu nachzudenken. Der Gewinn sei wegen der zusätzlichen Lager- haltung bislang nicht gesunken. Mythos „Just-in-time“
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