Wirtschaft und Weiterbildung 4/2021

personal- und organisationsentwicklung 30 wirtschaft + weiterbildung 04_2021 Sessions und das darin dokumentierte Wissen und gemachte Erfahrungen, „ver- gammeln“ in einem Repository, weil es nicht aktiv (aus sehr vielen unterschied- lichen Gründen) genutzt wird. Da man diesen Verlust nur äußerst schlecht in Fi- nanzzahlen messen kann, hängt es von der mikropolitischen Durchsetzungskraft ab, ob und wie weit man Gehör für diese Perspektive findet und diskutiert, wie man damit als Organisation umgeht. Die Konsequenzen sind hart In allen Fällen hat man es mit einem Di- lemma zwischen einem Effizienzgewinn (durch Abbau von Puffern) und der wachsenden Abhängigkeit von internen und externen Risiken zu tun. Auf jeder Ebene des Anlagen-, des Umlauf- und des immateriellen Vermögens gibt es denkbare Maßnahmen, um die gewach- senen Risiken zu berücksichtigen. Solche Maßnahmen sind ihrerseits mit Kosten verbunden. Man schätzt das Risiko nach Eintrittswahrscheinlichkeit und Höhe des finanziellen Schadens ein und stellt dem Schaden die erwarteten (Effizienz-) Gewinne gegenüber. Besonders schwierig ist dabei die Einschätzung und Bewer- tung möglicher immaterieller Schäden wie dem Imageverlust oder dem Vertrau- ensverlust im Markt, bei Kunden oder in der Öffentlichkeit. Die erforderlichen Diskurse und Entscheidungen sind von starken Auffassungsunterschieden, unter- schiedlichen Perspektiven und ausgepräg- ten Machtbeziehungen geprägt. Das prinzipielle Problem mit der Absiche- rung ist, dass sie sich auf die bekannten Risiken bezieht. Man muss (um hand- lungsfähig zu bleiben) die Komplexität bei der Entscheidungsfindung reduzie- ren und entscheiden, für welche Risiken man Vorsorge treffen will. Dies bedarf einer Einschätzung und Abwägung, was man als relevant erachtet. Dabei blen- det man Risiken aus, die danach nicht mehr weiter auf dem Radarschirm sind und daher nicht mehr weiter be(tr)ach- tet werden. Man macht sich also als Or- ganisation dafür „blind“, weil man sich „Scheuklappen“ anlegt. Vor diesem Hin- tergrund entsteht die Selbstillusion, dass man sich gegen Risiken abgesichert hat und sie damit beherrschbar und kontrol- lierbar sein würden. Problematisch wer- den Entwicklungen, die man entweder ausgeblendet hat oder gar nicht kennen konnte. Treten diese ein, können Puffer und zusätzlich mobilisierbare Ressourcen vor schweren Schäden schützen. Beispiel 1: Ein Einfrieren von Kosten (zum Beispiel im Entwicklungsbereich) und ein Ausdünnen von Personal (Zum Beispiel in Supportfunktionen) im Vorfeld einer Fusion, mag funktional und rational sein, um dem neuen Unternehmen durch Abbau von Doppelstrukturen einen bes- seren wirtschaftlichen Start zu ermögli- chen. Man rechnet mit einer Genehmi- gung vielleicht unter Auflagen. Kommt es aber zu massiven Auflagen oder sogar zu einem Verbot, hat man ein Problem. Denn zu dem Zeitpunkt hat man schon viele Ressourcen, Puffer und andere Strukturen abgebaut, verkleinert und ver- schlankt. Weitergehende Finanzierung von Innova- tionen waren kaum mehr möglich. Jetzt erforderliche Diskussionen über benötigte zusätzliche Ressourcen werden nicht ge- führt. Die systematische Förderung von Mitarbeitenden dauern deutlich länger, werden nur sporadisch durchgesetzt oder erfolgen nach dem Verständnis der direkten Führungskräfte. Es fehlt an aus- reichender Personalentwicklungskapazi- tät. Der Fokus im mittleren Management durch die starke Ausrichtung auf kurz- fristige Effizienzsteigerungen liegt auf der unmittelbaren Zukunft und dem unbe- dingten Erhalt operativer Vorgänge. Stra- tegische Entscheidungen zu treffen, war nicht gewollt und muss jetzt erst wieder eingeübt und dazu kulturell „ermuntert“ werden. Beispiel 2: In einer Organisation stehen Kundenwünsche stark im Mittelpunkt. Deren Erfüllung hat regelmäßig hohe Priorität. Gleichzeitig wird intern gro- ßer Druck auf Kosteneffizienz in den Prozessen gelegt. Irritationen, Frust und Erlahmen von Eigeninitiative und kol- legialer Zusammenarbeit macht sich breit. Die große Arbeitsverdichtung und die Störungen durch die Dominanz von Kundenwünschen, die permanenten Son- derregelungen, Umpriorisierungen und Abweichungen von eigentlich definierten Prozessen erzeugen Unsicherheit, wor- auf man sich verlassen und wonach man sich richten kann. Es kommt zu Dienst nach Vorschrift, Wagenburgmentalität der Abteilungen und Abnehmen informaler, kollegialer Unterstützung über den „klei- nen Dienstweg“. Letzterer könnte helfen, Prozesslücken zu schließen und mit den volatilen Rahmenbedingungen besser umzugehen. Beispiel 3: Ein Unternehmen, das schon längere Zeit strategische Schwierigkeiten und Wettbewerbsnachteile hat und des- halb durch die Investoren auf Kosten- und Prozesseffizienz getrimmt wurde, kommt in einer fundamentalen Krise in große Schwierigkeiten. Man ist intern so „gefangen“ und fokussiert, dass man nicht mehr „out of the box“ denkt und nur mehr nach weiteren Möglichkeiten der Kostenreduktion schaut. Auf eigene Querköpfe und Ressourcen, die „outside the box“ denken und andere Möglich- keiten sehen und sich diese auch vorzu- schlagen trauen, kann man nicht mehr zurückgreifen. Das Unternehmen tut sich wegen des langjährigem intensiven Kosten- und Effizienzdrucks schwer, aus diesem weit verbreiteten Denkschema auszubrechen. Damit soll nicht impliziert werden, dass diese Unternehmen unfähig sind oder deren Management ausgespro- chen dumm wäre. Es soll verdeutlichen, dass es schlicht schwer ist, aus einem stark eingefahrenen Denk- und Handlungsschema in ganz an- deren Bahnen zu steuern. Im ersten und dritten Beispiel ist die ganze Organisation aus unterschiedlichen Gründen so auf Kante genäht, dass die kleinste Seitenbe- wegung zum Reißen der „Nähte“ führt. Im zweiten, aber auch im dritten Beispiel ist man so im Tunnel der Effizienzlogik gefangen, dass es sehr schwerfällt und auch kaum mehr akzeptiert würde, an- dere und ungewöhnliche Optionen zu denken und potenzielle Chancen auszu- probieren. Die Organisation ist weniger flexibel als sie sein könnte. Fazit: Ein klügerer Umgang mit dem Dilemma muss her! Man hat es beim Thema Slack immer mit einem Dilemma zu tun: Einerseits steht die Forderung nach Effizienz. Anderer- seits bedeutet Slack zu akzeptieren, dass Prozesse schlampiger ausgeführt werden, R

RkJQdWJsaXNoZXIy Mjc4MQ==