Wirtschaft und Weiterbildung 4/2021
R wirtschaft + weiterbildung 04_2021 29 • Appelle an die Verantwortung aller Mit- arbeitenden (Qualität wird in den Pro- zessen von jedem „produziert“) • Automatisierung von Prozessen (Re- duktion von Fehlern, Brüchen, Ge- schwindigkeit) • Verlagerung von Vorratshaltung auf die Zulieferer bis hin zu pufferlosen Just- in-time-Fertigungen • Qualitätsprüfungen durch die Lieferan- ten selbst mit entsprechenden Verein- barungen und finanziellen „Strafen“ • Standardisierung von Schnittstellen • finanzvertraglichen Maßnahmen wie kürzere Zahlungsziele gegenüber Kun- den bei gleichzeitiger Nutzung von Lie- ferantenkrediten • Zurückhalten von Zahlungen wegen (vermeintlichen) Liefermängel. Solche Maßnahmen sind für sich ge- nommen durchaus sinnvoll. Man über- prüft, wo man zu viele Ressourcen bin- det, überprüft tradierte Abläufe, die vor Jahren durchaus sinnvoll gewesen sind, hinterfragt Aufgaben, die sich heute mög- licherweise so gar nicht mehr stellen und einiges mehr. Man wird Vorsorge treffen, dass man die richtigen Zulieferer aus- wählt, qualifiziert und prüft, die eigenen Prozesse regelmäßig auf „Waste“ hin ab- klopft. Man wird die Supply Chain gegen Störungen, aus welchen Ursachen auch immer, schützen. Die Produktion soll nicht zum Erliegen kommen, wertvolle Ressourcen sollten nicht nutzlos warten, vorhandene Rohstoffe oder Zwischenpro- dukte nicht mehr verderben oder sogar entsorgt werden müssen. Effizienzsteigerungen und immaterielles Vermögen Ein dritter Bereich für Effizienzpotent- ziale ist das immaterielle Vermögen. Dazu gehören zum Beispiel Methoden, Patente, R&D-Vorhaben oder die Kompe- tenz und Erfahrung von Mitarbeitenden. Es gibt immer wieder, und nicht nur in krisenhaften Situationen, Programme, um Personalkosten zu senken oder als er- forderliche erachtete Personalstrukturan- passungen durchzuführen. Dazu werden Programme aufgesetzt, die durch „sozi- alverträgliche“ Abbaumaßnahmen Per- sonalkosten reduzieren sollen. Um dies der Öffentlichkeit leichter zu vermitteln und das Risiko eines Imageschadens zu vermindern, wird darauf hingewiesen, dass an anderer Stelle neue Jobs geschaf- fen werden, dass man entsprechende Weiterbildungsprogramme gestartet hat, dass die Abbaumaßnahmen durch Trans- fergesellschaften abgefedert werden oder dass man die nicht mehr im Unterneh- men selbst fortgeführten Tätigkeiten in ein neues Unternehmen verlagert, in das die Mitarbeitenden wechseln können. Durch jeden Personalabbau oder durch jede Personalverlagerung verliert das Un- ternehmen Kompetenzen, Erfahrungen und Wissen. Sollte es zu einer solchen Entwicklung kommen, kann es plötzlich deutlich wer- den, was man an Erfahrung und Wissen schon einmal gehabt hat und die jetzt fehlt. Dann bleibt einem nur übrig, das fehlende Wissen zurück- oder von woan- ders einkaufen zu müssen. Ein Beispiel: Als ein Kraftwerkshersteller einen umfangreichen Stellenabbau durch- führte, waren darunter auch viele gutver- dienende, langjährige und erfahrene Pro- jektmanager und Praktiker. Deren Arbeit wurde auf andere Personen verteilt oder man stellte neues, jüngeres, weniger teu- res Personal, aber auch mit geringerer Berufserfahrung ein. Es wurde schnell deutlich, dass vor allem in komplexen Turn-Key-Projekten zahlreiche Prob- leme auftraten. Es wurde deutlich, dass die über Jahre aufgebauten, praktischen Erfahrungen fehlten. Solche aus zahlrei- chen Projekten (und dabei schiefgelau- fenen Dingen) gesammelte Erfahrungen sind nicht durch theoretisches Wissen adäquat und verlustfrei zu ersetzen. Man kaufte die vorher abgebauten Projektma- nager also als externe Berater wieder ein und ersetzte vorherige Fixkosten durch höhere variable Kosten mit leider deutlich negativen Effekten auf die Rentabilität der Projekte. Die Strategien gegen den Verlust solcher Kompetenzen besteht im Verfügbarma- chen von Wissen, Erfahrungen und in der Praxis erprobter „Tipps und Tricks“, in Patente, Prozessbeschreibungen, Ar- beitsanweisungen oder Lessons-learnt- Dokumentationen und Repositories. Durch Übergabegespräche und Formate des Austauschs sollen Wissen und Er- fahrungen weitergegeben werden. Dieser Prozess ist heikel, weil man auswählen muss, welches Wissen und welche Erfah- rung zukünftig relevant ist, um erhalten zu werden. Wer trifft diese Entscheidung? Wie möchte man das, was man als rele- vant erachtet hat, „erhalten“ und anderen zugänglich machen? All das braucht Ent- scheidungen und kostet Aufwand: • Es muss eruiert werden, was tatsäch- lich formalisiert werden soll. Dadurch geraten andere Erfahrungs- und Wis- sensinhalte in „Vergessenheit“ und sind nicht mehr für die Organisation verfügbar. • Es muss ausgehandelt werden, wie diese ausgewählten Inhalte verfügbar gemacht werden (Schulungen, Vor- schriften, Prozessbeschreibungen, Meilensteine). Auch hier findet eine Einflussnahme durch verschiedene Ak- teure statt. • Es müssen andere Mitarbeitende diese Inhalte lernen und einüben, um an- schließend ihren Wert in der Realität abzuschleifen. Dass durch den Weggang von (erfahre- nen) Mitarbeitenden ein erheblicher Ver- lust an Wissen und noch mehr Erfahrung zum Teil von heute auf morgen vonstat- ten geht, kann nur bedingt über solche Formalisierungen und organisatorische Lernprozesse aufgefangen werden. Tat- sächlich durchgeführte Lessons-learnt- Dr. Wolfgang Karrlein ist Gesellschafter und Geschäf ts- führer der Canmas GmbH in Grünwald. Er greift bei seiner Beratungstätigkeit auf 20 Jahre Erfah- rung in einem internationalen Konzern zurück. Seine fachlichen Schwer- punkte sind Organisationsentwick- lung, Leadership Development und Change Management. Zudem ist er zertifizierter Business Coach (DVCT). Canmas GmbH Nördliche Münchner Str. 47 82031 Grünwald Tel. 089 416173560 www.canmas.biz AUTOR
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