Wirtschaft und Weiterbildung 4/2021

wirtschaft + weiterbildung 04_2021 23 2016 begann Eidenschink seine eigene Organisationstheorie auf Kongressen und im Internet vorzustellen. Er nannte sie „Metatheorie der Veränderung“. Sie um- fasst die drei Bereiche „Psychodynamik“, „Teamdynamik“ und „Organisationsdy- namik“. Die Metatheorie wurde bislang nur im Internet auf dem Portal www. metatheorie-der-veraenderung.info v er- öffentlicht. Dafür wurde eine besondere Software programmiert, die Inhalte nach Stichworten portioniert, vernetzt darstellt und zum assoziativen Erkunden einlädt. Eidenschink: „Es wird viel von vernetz- tem Denken gesprochen. Hier können Sie es ausprobieren.“ Nun hat Klaus Ei- denschink zusammen mit Ulrich Merkes das Buch „Entscheidungen ohne Grund – Organisationen verstehen und beraten“ geschrieben, das die Metatheorie zumin- dest im Bereich „Organisationsdynamik“ für die Beraterszene ausgesprochen anre- gend aufbereitet. Metatheoretisch heißt der Ansatz des- halb, weil rund um das Thema Verän- derung die herkömmliche Trennung von Psychologie, Organisationswissenschaft, Managementlehre, Soziologie und Phi- losophie aufgehoben wird. Unterschied- liche (vornehmlich prozessorientierte) Theorien wurden auf ihre Prinzipien hin untersucht und so bildete sich eine Be- obachtungsstruktur (die „Leitunterschei- dungen“) heraus, mit deren Hilfe sich Entscheidungsprozesse und -muster in Organisationen beschreiben lassen. Prozessorientierte Theorien ausgewertet Eidenschink steht zum Beispiel in der Tradition der Systemtheorie, wie sie von dem Soziologen Niklas Luhmann entwi- ckelt worden ist. Die Merkmale dieses systemtheoretischen Denkens lassen sich stark verkürzt so skizzieren: • Organisationen sind Prozess und nicht Ding. Es geht um den Prozess des Orga- nisierens und wie er beeinflusst werden kann. Die Stabilität der Organisation ist das erklärungsbedürftige Phänomen. • Organisationen kultivieren Konflikte. Wenn man versteht, welchen Ent- scheidungszwängen Organisationen ausgesetzt sind, ermöglicht dies, viele Geschehnisse – auch vermeintlich ab- surde – theoretisch so einzuordnen, dass ihre innere Logik sichtbar wird. • Organisationen sind Viel-Zweck-Inst- rumente. Sie dienen ihren Mitgliedern, ihren Kunden, ihren Inhabern, ihren Kreditgebern und damit in Summe ihrem eigenen Überleben. • Organisationen sind Kommunikation über Entscheidungen. Mitglieder von Organisationen können nicht allein Entscheidungen treffen, weil sie immer auch darauf angewiesen bleiben, wie ihre Mitteilungen von anderen verstan- den und aufgenommen werden. Ent- scheiden ist ein kommunikativer Akt und damit ein soziales Phänomen. • Organisationen erzeugen stabile Mus- ter. Organisationen brauchen zur Um- weltorientierung Stabilität und müssen, um Stabilität zu gewinnen, Komplexi- tät reduzieren: das und nicht jenes, so und nicht anders, hier und nicht dort, heute und nicht morgen. • Organisationen sind zeitlich und damit paradox. Organisationen sind konti- nuierlich in Paradoxien verstrickt. Das meint hier, dass keine Entscheidung für alle richtig, nebenwirkungsfrei, verläss- lich, widerspruchsfrei und mit der rest- lichen Organisation abgestimmt sein kann. Was heißt eigentlich entscheiden? Klaus Eidenschink und Ulrich Merkes erklären in ihrem Buch das Wesen des Entscheidens mit einer Metapher: Jemand fährt mit dem Fahrrad auf einem Weg durch den Wald. Dass er geschickt rechts oder links an Schlaglöchern vorbeifahren muss, hat nichts mit entscheiden zu tun, denn er passt sein Verhalten nur dem Weg an. Eine Entscheidungssituation entsteht erst, wenn der Weg sich gabelt und der Radfahrer nicht weiß, welcher Weg der fahrbare ist und zu welchem Ziel er führt. Es gibt Argumente für beide Richtungen, aber man kann nur einen Weg wählen und verzichtet auf das, was man beim anderen Weg hätte zu sehen bekommen. Jetzt hilft es nichts, der geschick- teste Radfahrer der Stadt zu sein. Man muss entscheiden und dann mit den Konsequenzen leben. Entscheidungen in Organisationen werden notwendig, wenn es zwei als gleich wichtig und möglich angesehene Hintergrund. Je komplexer die Weltwirtschaft, desto mehr Alternativen bieten sich einem Unter- nehmen. Zwischen zwei gleichwertigen Alternativen wählen zu müssen, wird oft zum Problem. Alternativen gibt, die nicht beide verwirklicht werden kön- nen. Jede Entscheidung vernichtet eine attraktive Alterna- tive zugunsten der Möglichkeit, die realisiert wird. Entschei- dungen sind also immer auch Entscheidungen gegen etwas und erzeugen daher immer auch Verluste und Nachteile. Entscheidungen basieren auf Konflikten (zwischen gleich- wertigen Alternativen) und bewirken einen Verlust (nämlich den Verlust der abgewählten Alternative). Hinzu kommt, dass Entscheidungen von einem Standpunkt abhängig sind. Unterschiedliche Positionen kommen näm- lich zu unterschiedlichen Entscheidungen. Und Entschei- dungen rufen immer auch Kritiker hervor, die (mit Recht) anders hätten wählen wollen. Und letztlich hängen Ent- scheidungen auch noch von einer unbekannten Zukunft ab, sodass sich die Nützlichkeit der Entscheidung erst in weiter Ferne erweisen wird. R

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