Wirtschaft und Weiterbildung 4/2021
titelthema 20 wirtschaft + weiterbildung 04_2021 zu ersparen und kann den Dialog über eigene Unzulänglichkeiten im Entschei- dungsprozess kaschieren. Diese liegen häufig (siehe Punkt 4, der lautete: „Wir haben gründlich diskutiert ...“) in der frühzeitigen Ausgrenzung Andersden- kender. 10. „Natürlich wissen wir, wie schwer das für manche sein wird …!“ • Das ist normalerweise eher richtig, weil es bei jeder Entscheidung Verlierer und Benachteiligte geben wird und man so zu erkennen gibt, dass man das weiß. • Das ist in Krisen eher falsch, wenn es rational daherkommt und die Betrof- fenen gleichzeitig wissen (können), dass die Entscheider selbst so etwas noch nie erlebt haben und selbst nicht betroffen sind. Dann wirkt so ein Satz im Wesentlichen zynisch und wird als moralisches Feigenblatt erkennbar. In komplexen Verhältnissen ist eher wichtig, in der Begründung von Ent- scheidungen deutlich zu machen, dass man es nicht überblicken kann, wie schlimm es sich auswirken könnte, und es trotzdem so entschieden hat. Fazit Der Bezugspunkt dieser Liste sind Ent- scheidungssituationen, die dadurch ge- kennzeichnet sind, … • dass viel auf dem Spiel steht. • dass die Verhältnisse neuartig und komplex sind. • dass die Zahl der von der Entscheidung Betroffenen oder deren Auswirkungen hoch und intensiv sind. • dass die Folgen der entschiedenen Maßnahmen ungewiss sind. • dass die Situation in gewisser Hinsicht singulär ist. • dass die Möglichkeiten, die Entschei- dung zu bereuen, hoch sind. • dass viele Ängste auf Seiten der Ent- scheider im Spiel sind. Konkret können das im „Großen“ zum Beispiel Umstrukturierungen und Strate- giewechsel großer Organisationen, groß angelegte Hilfsaktionen in globalen Kri- sen, die gegenwärtige Pandemie, Fusi- onen großer Unternehmen sein. Im „Klei- nen“ fallen Entscheidungen zu Studien-, Berufs- und Partnerwahl, Kinderkriegen, Trennungen, Kündigungen oder größere Investitionen darunter Im „Mittleren“ kann man etwa an Unternehmensgrün- dungen, Expeditionen, Nachfolgerege- lungen, Stadt- oder Schulentwicklungen denken. Was sind zusammenfassend für Per- sonen, Teams und Organisationen in Krisenzeiten die größten Fehler beim Ent- scheiden? • Auf Seiten der handelnden Personen ist der größte Fehler, sicheren Boden zu erwarten und zu suchen. Es gibt hier keine Regeln, keine Rezepte, keine Ge- währ. Darum ist die immerwährende Bereitschaft zur Selbstkorrektur, zur Demut und zum Loslassen-Können ei- gener Meinungen so bedeutsam. • In Teams ist der größte Fehler, dass man sich zu ähnlich ist. „Group Think“ nennt die Forschung das. Gleichschal- tung des Denkens durch mundtot ma- chen, abbügeln, ausschließen oder der- gleichen lässt sich leider immer wieder beobachten. Wenn in Krisenmomenten unbequeme Meinungen, abweichende Voten und auch heftige Konflikte kei- nen Platz in der Kommunikation fin- den, dann verarmt der Entscheidungs- raum und man sieht gemeinsam nicht, wie blind man geworden ist. • In Organisationen und politischen Strukturen ist der größte Fehler, man- gelnde Transparenz über den Weg zur Entscheidung und die verworfenen Alternativen herzustellen. Die Kom- munikation von Entscheidungen und Entscheidungsprozessen wird in kom- plexen Kontexten wichtiger als die Entscheidung selbst. Denn passende Entscheidungen, die nicht befolgt und untergraben werden, helfen nicht. Sta- bile Spaltungen auf der sozialen Ebene schwächen die Organisation immens. Unpassende Entscheidungen, die nicht mehr diskutierbar und revidierungs- fähig sind, entkoppeln und entbinden Andersdenkende von den Entschei- dungen. Bei Entscheidungen in komplexen und kritischen Lagen kommt es also sehr viel mehr auf den vorgängigen Entschei- dungsprozess, die Entscheidungskommu- nikation und das Überwachen der Ent- scheidungsfolgen an, als dies in stabilen und bekannten Verhältnissen der Fall ist. Kennt man die Verhältnisse, dann kennt man in der Regel auch die Wege, die man grundsätzlich gehen könnte. Sind die Verhältnisse neu, werden die Entschei- dungen am Anfang sehr leicht zu Scheu- klappen. Es wird zu viel ausgeschlossen und bleibt für alles Folgende unberück- sichtigt. Das sorgt natürlich für Stabilität. Genau darin liegt aber die Gefahr: Wenn dann diese Stabilität heiliggesprochen wird und als unantastbar gilt, dann ge- raten zu viele sachliche Alternativen, zu viele Interessen oder zu viele künftige Möglichkeiten aus dem Blick. Die Ent- scheidung fährt sich quasi selbst fest. Sie wird Opfer ihrer eigenen Geschichte und findet aus der selbsterzeugten Verengung nicht mehr heraus. Je länger also eine Krise andauert, desto wichtiger wird es, Andersdenkende, Kri- tiker und Gegner zu hören, einzubinden und sich für deren Alternativen offen zu halten. Sonst führt die Selbstverliebtheit derer, die an der „Macht“ sind, dazu, dass sich das Team, die Organisation oder die Gesellschaft spalten. Diese Spaltung führt zu einem Zustand, der so gut wie immer die Krise weiter verschärft. Beispiele für genau diese Vorgänge gibt es in der ge- genwärtigen Lage von Wirtschaft und Ge- sellschaft genug. Klaus Eidenschink R Klaus Eidenschink i s t Execut i ve Coach, Konflikt- moderator und Organisationsberater. Er gilt als Spe- zialist für Verständigung und Wan- del“. Der Senior Coach im Deutschen Bundesverband Coaching e. V. (DBVC) ist auch Gründer und Co-Leiter von „Hephaistos Coaching-Zentrum Mün- chen“, das sich als Aus- und Fortbil- dungsstätte für Trainer und Berater einen Namen gemacht hat. Hephaistos Lärchenstrasse 24 82152 Krailling Tel. 089-85662290 www.hephaistos.org AUTOR
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