Wirtschaft und Weiterbildung 4/2021

wirtschaft + weiterbildung 04_2021 19 gemacht wird, welche Folgen es hat, wenn von der vereinbarten Entschei- dung im Nachhinein abgewichen wird. So stabilisiert man die Entscheidung. • Das ist in Krisen eher falsch, wenn es dazu benutzt wird, durch die negative Bewertung der Folgen anderer Ent- scheidungsalternativen, deren Vertre- ter (moralisch) zu diskreditieren und damit zu verschleiern, dass auch die eigene Entscheidung ungünstige Ne- benfolgen hat, die man in Kauf nimmt. 3. „Der einzige Weg, um das Ziel zu erreichen, ist …!“ • Das ist normalerweise eher richtig, weil es notwendig ist, für die getroffene Ent- scheidung entschieden einzutreten. • Das ist in Krisen eher falsch, wenn damit aus dem Blick gerät, dass es zum einen immer viele Wege nach Rom gibt und man immer auch diskutieren könnte, ob Rom wirklich das einzige Ziel sein kann. Wer also verschleiern will, dass das Ziel durchaus viele Alter- nativen hatte, neigt dazu, die Diskus- sion von der Wahl des Ziels zur Wahl des Wegs zu lenken. Auch hier dient die Argumentation also der Ausblen- dung von verworfenen oder von vorn- herein nicht ins Kalkül genommenen Alternativen. 4. „Wir haben gründlich diskutiert…!“ • Das ist normalerweise eher richtig, weil in der Tat sehr oft lange und intensiv diskutiert werden muss, um ein Einver- nehmen zu erzielen, welches sich von bloßer Teilnahme unterscheidet. • Das ist in Krisen eher falsch, weil häu- fig der Kreis der Diskutanten und die Wahl der Argumente viel zu wenig unterschiedlich sind. Beispiele gefäl- lig? Das umfangreiche Diskutieren im CSU-Kreis wird keine Beschlüsse her- vorbringen, die den Grünen entspre- chen. Ein Gespräch unter Männern kann die Perspektive der Frauen nicht erfassen. Virologen gleicher Schule bilden nicht das Spektrum der Virolo- gie ab. Unter bekannten und stabilen Bedingungen stört das nicht. In kom- plexen, kritischen Verhältnissen wird es zum großen Problem, da so dann nicht in den Blick gerät, dass man nicht redet, worüber zu reden wäre. Folglich hilft die Gründlichkeit einer Diskussion nichts, wenn alle ähnlich gestrickt sind. 5. „Die Experten sagen …!“ • Das ist normalerweise eher richtig, weil es zu so gut wie jeder Frage Fachwissen gibt, das berücksichtigt werden muss, soll die Entscheidung nicht reine Will- kür sein. • Das ist in Krisen eher falsch, denn es gibt immer Experten, die etwas anderes sagen. Fachwissen für neuartige Son- dersituationen ist in den seltensten Fäl- len kohärent und widerspruchsfrei. Zu jedem Experten gibt es einen Gegenex- perten. Die vermeintliche wissenschaft- lich/ingenieurseitig abgesicherte Ex- pertenmeinung wird so zum vermeint- lichen Beweis einer vermeintlichen Alternativlosigkeit. Das „Objektivitäts- denken“ der klassischen Naturwissen- schaften droht zu verdecken, wie wi- dersprüchlich „die“ Wissenschaft ist. Daher können Experten – auch Wissen- schaftler – keine Entscheidungen erset- zen. Sie sind bestenfalls Begründungs- fußnoten für Entscheidungen, um eine Herleitung nachvollziehbar zu machen. In komplexen Krisen weiß niemand, welche Expertise stimmt. 6. „Wir können nicht anders, weil …“ • Das ist normalerweise eher richtig, weil in stabilen Verhältnissen „Sach- zwänge“ bestehen, denen man sich manchmal weder entziehen kann oder darf. • Das ist in Krisen eher falsch, wenn man sich damit hinter etwas, was nicht mehr in Frage gestellt werden darf, ver- steckt. Weil „der Markt“, „der Kunde“, „der Aufsichtsrat, „der Vorstand“, „das Volk“, „die Basis“ es „so will“ oder „nicht tolerieren würde“, muss so ent- schieden werden. Gerade in Drucksitu- ationen werden solche vermeintlichen Kenntnisse über externe Bedingungen gerne benutzt. Damit wird die Illusion erzeugt, jemand könne über Umwelt- verhältnisse ein nicht diskutierbares Spezialwissen haben. Es gibt immer Alternativen. 7. „Es ist nichts schiefgelaufen!“ • Das ist normalerweise eher richtig, weil man immer gut begründen kann, dass bestimmte Randbedingungen der Ent- scheidung gesetzt waren und es daher so gut lief, wie es eben laufen konnte. • Das ist in Krisen eher falsch, weil damit die Entscheidung reingewaschen wird, indem man die Risiken nicht als etwas ansieht, das man sehr wohl mit in Kauf genommen hat. Man leugnet also, dass es eben doch anders gegangen wäre, wenn man über den Tellerrand hinaus- gesehen und zum Beispiel für diese Entscheidung Regeln und Vorschriften, die für Normalzeiten passen, außer Kraft gesetzt hätte. 8. „Jetzt haben wir angefangen, jetzt müssen wir es zu Ende bringen!“ • Das ist normalerweise eher richtig, weil das vorschnelle Zurückrudern oft ein Grund ist, warum Entscheidungen sich schlecht auswirken. Eine Robustheit gegenüber Kritik und Nebenfolgen ist unabdingbar. Ohne Entscheidungssta- bilität entstehen Chaos und Selbstauf- lösung. • Das ist in Krisen eher falsch, denn eine falsche Entscheidung wird nicht besser, wenn man sie nicht korrigieren kann. Daher ist robuste Konsequenz zu un- terscheiden von selbstgefälliger Immu- nisierung. Durch Verleugnung verän- derter Erkenntnisse und unerwarteter Entwicklungen wird aus Durchhalte- vermögen das Fahren gegen die Wand. Was nun zutrifft, kann so gut wie nie nur im Kreis derer gefunden werden, die für die anfängliche Entscheidung verantwortlich waren. Hier schlägt die Stunde von Aufsichtsräten, Kontrollor- ganen, Beratern, Supervisorinnen oder guten Freunden. Verbohrtheit kann sich selbst nie im Spiegel erkennen! Dazu braucht es andere. 9. „Im Nachhinein ist man doch immer klüger“ • Das ist normalerweise eher richtig, weil es immer richtig ist, dass man bestimmte Dinge nicht vorhersehen konnte und die auftretenden Schäden im Zuge des Vorgehens erst erkennbar werden. • Das ist in Krisen eher falsch, wenn mit dem Satz begründet wird, dass man nichts lernen und nicht umdenken muss. So versucht man sich, Vorwürfe R

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