Wirtschaft und Weiterbildung 4/2021

titelthema 18 wirtschaft + weiterbildung 04_2021 04. ... etwas als erwiesenermaßen alternativlos hinzustellen. Es gibt immer Alternativen. 05. ... zynisch davon zu reden, dass es in jeder Krise Verlierer und Benachteiligte gibt. R Seit vielen Jahren beobachte und begleite ich Manager, Vorstände und Geschäfts- leitungsteams bei Entscheidungen. Fast ausnahmslos sind es Entscheidungen, bei denen viel auf dem Spiel steht. Dabei ist auffällig, dass viele Entscheider und Entscheider-Teams nicht wirklich unter- scheiden, wie die Situation ist, in der sie handeln müssen. Der Prozess, wie sie zur Entscheidung kommen, und die Art und Weise, wie die Entscheidung begründet wird, ist meist gleich. Stabile (wenngleich anspruchsvolle) Verhältnisse brauchen jedoch meist ein anderes Entscheidungs- verhalten, als wenn die Lage ausgespro- chen neuartig ist und sich krisenhaft zu- zuspitzen droht. Wer dann auf bewährte Routinen zurück- greift, kann kritische Entwicklungen he- raufbeschwören. Wenn ab sofort in die- sem Artikel der Begriff „Krise“ gebraucht wird, dann ist damit nicht ein akuter Not- fall („Schiff im Taifun“) gemeint, sondern eine neuartige, unbekannte krisenhafte Lage, deren Bedeutung schwer zu erfas- sen ist. Es gilt eine Bunkermentalität zu vermeiden Bei Entscheidungen unter solch unklaren Verhältnissen, hohem Erwartungsdruck und großen Auswirkungen kommt der Begründung dieser Entscheidungen eine besonders hohe Bedeutung zu. Zunächst, man sollte meinen, dass es ein (im Bil- dungssystem verankertes und gelehrtes) Wissen gibt, das den verantwortlichen Personen in Wirtschaft wie in Politik in krisenhaften Situationen hilft und sie vor naheliegenden Fehlern bewahrt. Dem ist aber nicht so. Die Allermeisten zehren von ihrer „Erfahrung“, machen es nach nen - Person, Team und Organisation - die Wahrscheinlichkeit hoch, dass bewährte Vorgehensweisen, die für Normalzeiten passen, in Krisenzeiten dennoch ungün- stig aufrechterhalten werden. Ich liste im Folgenden die zehn häufigsten Argumen- tationslinien auf, die benutzt werden, um mit oft richtigen Argumenten trotzdem falsch zu liegen. Die Dramatik liegt also darin, dass in kritischen Situationen mit guten Grün- den Entscheidungen legitimiert werden, die das Potential haben, großen Schaden anzurichten. Hier nun meine Hitliste aus drei Jahrzehnten Beratungsarbeit, in denen ich Begründungen von Entschei- dungenC gesammelt habe, die für „nor- male“ Entscheidungen sehr passend sein können und für Entscheidungen in kom- plexen Verhältnissen meist fatal sind. 1. „Wir können doch nicht alles in Erwägung ziehen!“ • Das ist normalerweise eher richtig, weil man bei begrenzter Verarbeitungska- pazität immer mit begrenzter Fakten- lage arbeiten muss, will man sich nicht selbst lähmen. Das Vernachlässigen von Wissen spart in stabilen Zeiten Ressourcen und kraftraubende Kon- flikte. • Das ist in Krisen eher falsch, wenn damit geleugnet wird, dass man eben sehr wohl für die Auswahl dessen, wo- rüber man überhaupt diskutiert, ver- antwortlich ist. Der Tunnelblick wird so heiliggesprochen! 2. „Wer das nicht mitträgt, nimmt billigend in Kauf …!“ • Das ist normalerweise eher richtig, weil es unabdingbar ist, dass bei Entschei- dungen in Gremien und Teams klar Gutdünken, sind (oft, ohne es sich ein- zugestehen) von Ängsten, Schuld und Scham gesteuert. Narzisstische seelische Muster, die in die einsame Rolle der hero- ischen Entscheider und in Bunkermenta- lität verfallen, verschärfen die ungünstige Lage. Die Dynamik in den jeweiligen Teams, Gremien und Entscheidungsrunden er- zeugt häufig zusätzlich schlechte Ent- scheidungsbedingungen. Es gibt ... • mangelnde Vielfalt in den Entscheider- Gruppen („Group Think“ fördert den Ausschluss von Möglichkeiten, ohne dass dies bewusst wird) • vorschnelle Einigungen, um bedroh- liche Binnenkonflikte zu vermeiden • Einigung durch Ausschluss missliebiger Andersdenkender • Pseudo-Einigungen durch vordergrün- dige Zustimmung und anschließend andersartigem Handeln • angstfördernde Bedrohungsposen, die subtil oder explizit Anpassungsverhal- ten befördern. Organisationen und politische Gremien haben häufig ebenfalls ungeschriebene Regeln, welche komplexe Entscheidungs- situationen ungünstig vereinfachen oder zu gewagte Entscheidungen durch un- endliche „Abstimmungsprozesse“ un- möglich machen. Machtpositionen und Machtprozesse werden nicht hinterfragt. All das dient der Selbststabilisierung der organisatio- nalen Muster. Wie dysfunktional dies in Entscheidungssituationen ist, die durch Krisen, instabile soziale Gefüge, extern stimulierte Bedrohungslagen und beim Auftauchen neuartiger Herausforde- rungen gekennzeichnet sind, wird meist nicht erkannt beziehungsweise hinge- nommen. So ist auf allen relevanten Ebe- 06. ... zu leugnen, dass man beim Entscheiden Risiken sehr wohl in Kauf nimmt.

RkJQdWJsaXNoZXIy Mjc4MQ==