Wirtschaft und Weiterbildung 11-12/2021

R wirtschaft + weiterbildung 11/12_2021 33 ten kommentiert: „Heutzutage scheint so etwas ja notwendig zu sein. Wir sind frü- her bei Problemen noch zum Holzhacken in den Wald gegangen.“ Auch wenn das als Witz gemeint war, wird klar, dass hier psychische Belastungen am Arbeitsplatz erst einmal ein Tabu bleiben werden. Der Großteil der Beratung suchenden Menschen liegt jedoch irgendwo zwi- schen diesen beiden Extremen: Der Mitar- beiter, der sich trotz versicherter Anony- mität nur mit einem Pseudonym meldet; die Führungskraft, die eine psychologi- sche Beratung lieber Coaching nennt, die Beschäftigte mit einer Essstörung, die sich professionelle Unterstützung holen möchte, das Problem aber schon mit ihrer Führungskraft kommuniziert hat. Ver- mutlich liegt der Umgang mit dem Thema psychische Erkrankungen für jedes Unter- nehmen anders, irgendwo auf einer Skala zwischen Tabuisierung und Offenheit. Ich finde das Bild der Skala sehr hilfreich. Man kann dann von zwei Seiten fragen: Was führt dazu, dass man auf der Skala noch so nah am Tabu ist, also welche Vor- behalte gibt es oder was hat dazu geführt, dass mit dem Thema schon so offen um- gegangen wird? Vorbehalte und Möglichkeiten der Führungskräfte Auf welche Vorurteile stoßen hilfesu- chende Mitarbeitende bei Führungskräf- ten? Da, wo das Wissen über psychische Erkrankungen klein ist, können Vorurteile besonders groß werden. Das ist vermut- lich einer der wichtigsten Aspekte bei der Frage, warum ein Unternehmen auf der Skala noch nah am Tabu ist. Am besten wirkt man dem natürlich durch Infor- mation, Aufklärung und Kompetenzent- wicklung entgegen. Die Vermittlung von Grundwissen zu Arten, Ursachen und Folgen relevanter psychischer Erkrankun- gen räumt mit Vorurteilen auf und hilft nicht nur den Betroffenen. Es gibt daran auch ein starkes Interesse! Führungs- kräfte und Mitarbeitende haben vielfach einen großen Informationswunsch zu Themen wie Burn-out oder Depressionen. Führungskräfte brauchen darüber hi­ naus auch Kompetenzen bezüglich ihrer Handlungsmöglichkeiten im Umgang mit psychisch auffälligen Mitarbeitenden. Ich berate häufig Führungskräfte, die sich Sorgen um psychisch auffällige Mitarbei- tende machen, irgendwie unterstützen möchten, sich aber ihrer Handlungsop- tionen nicht sicher sind. Ein Beispiel dafür ist das Thema Sucht. Führungs- kräfte sind oft unsicher, ab wann sie das Thema ansprechen dürfen. „Muss ich mir nicht erst ganz sicher sein, dass der Mit- arbeitende ein Alkoholproblem hat, bevor ich ein Gespräch darüber führen kann?“ Meiner Erfahrung nach sind Führungs- kräfte grundsätzlich sehr offen für ent- sprechende Qualifizierungsmaßnahmen. Aufgrund der allgemein hohen Arbeits- belastung bedarf es hier aber kurzer und effizienter Schulungen und Konzepte, wie zum Beispiel das H.I.L.F.E-Konzept (Hinsehen, Initiative ergreifen, Leitungs- funktion wahrnehmen, Führen, Experten hinzuziehen). Ein weiterer Grund, nicht über psychi- sche Erkrankungen zu reden, ist die Wahrnehmung, dass die Psyche etwas sehr Privates ist. Doch Sätze wie „Das geht niemanden etwas an. Das ist meine Sache.“ führen nicht weiter. Warum nicht beispielsweise das Thema „Prävention psychischer Erkrankungen“ in die tur- nusmäßig stattfindenden Unterweisun- gen für Mitarbeitende einbauen? Das wäre ein weiterer Schritt, um das Thema Psyche aus dem Privatbereich in die Un- ternehmensfürsorge zu holen. Die aktuellen Coronabeschränkungen machen diesen Aspekt noch wichtiger. Persönliche Treffen finden kaum noch statt, der Rückzug ins Private wird leich- ter. Wir gehen davon aus, dass psychi- sche Erkrankungen durch die Pandemie und die Restriktionen zunehmen werden. Gleichzeitig ist es für Führungskräfte schwieriger, in Kontakt zu bleiben und eventuelle Probleme wahrzunehmen. Das stellt eine große Herausforderung für alle Beteiligten dar. Auf der anderen Seite er- lebe ich aber auch, dass gerade durch die Pandemie das Sprechen über Belastungen leichter fällt. Fast so, als hätte man nun eine „Erlaubnis“ oder einen „akzeptier- ten Grund“ für psychische Probleme. Das birgt eine große Chance: Wenn Führungs- kräfte in Kontakt bleiben, Online-Mee- tings nicht nur für den fachlichen Infor- mationsaustausch genutzt werden, son- dern beispielsweise auch, um nach dem Befinden der Mitarbeitenden zu fragen, können Überforderungen wahrgenom- men werden. Und dann besteht gerade jetzt eine große Chance, darüber auch zu reden. Prävention psychischer Belastung gehört zum BGM Woran merkt man, dass psychische Er- krankungen und Belastungen keine Tabuthemen mehr sind? „Zu einem gelingenden Gesundheitsmanagement am Arbeitsplatz gehört das Handwerk der Psychologen dazu“, sagte schon vor Jahren die Präsidentin des Bundesver- bands der Psychologinnen und Psycho- logen (BDP), Sabine Siegl. Darum sollte es Unternehmen hauptsächlich gehen: die Prävention psychischer Erkrankun- gen. Psychische Belastungsthemen sind genauso wie Beanspruchungsfolgen selbstverständlicher Teil des präventiven Gesundheitsmanagements. Werden Über- forderungen aufgefangen, bevor eine behandlungsbedürftige Erkrankung ent- steht, ist das das Beste, was allen Beteilig- ten passieren kann. Und wenn Themen wie Ängste, Depres- sionen, Burn-out und ähnliches selbst- verständliche Inhalte von Maßnahmen und Konzepten im Gesundheitsmanage- ment sind, ist man auf der Tabuskala einen guten Schritt Richtung Offenheit weiter. Besonders kleine und mittlere Un- ternehmen brauchen dafür individuelle Konzepte. Hier muss genauer geschaut werden, welche strukturellen und per- sonellen Ressourcen vorhanden sind, wie die Unternehmensziele aussehen Kerstin Hillbrink ist Diplom-Psycho- login und Berate- rin Gesundheits- management bei der BAD Gesundheitsvorsorge. BAD Gesundheitsvorsorge und Sicherheitstechnik GmbH Herbert-Rabius-Straße 1 53225 Bonn www.bad-gmbh.de AUTORIN

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