Wirtschaft und Weiterbildung 11-12/2021
titelthema 22 wirtschaft + weiterbildung 11/12_2021 reichen. Der Fokus beschränkte sich zu oft auf technische Qualifizierung. Dage- gen brauche es ein inklusives Talentma- nagement, das individuelle Talente för- dert. Lebenslanges Lernen sollte Ehrensa- che werden. Das zeige sich beispielsweise darin, dass Firmen Bildung und umfas- sendes Peer-to-peer-Lernen und -Lehren unterstützten – auch in unternehmensü- bergreifenden Entwicklungsnetzwerken. Ob Mentoring, Gruppencoaching oder Ethikweiterbildung für Managerinnen und Manager – der Fokus müsse immer auf einer am Gemeinwohl ausgerichteten persönlichen Exzellenz liegen. Coaching, regelmäßige Feedforward-Gespräche oder gemeinsame Lernreflexionen zum Thema Werte und Moral sind demnach mögliche Ansätze, um klassische Instrumente im Performance Management zu ersetzen, die meist auf Top-down vorgegebenen Ziel- und Budgetkaskaden beruhen. Ent- scheidend sei vor allem die dialogische Arbeit am Organisationssystem selbst und die Reflexion der persönlichen Rolle der Einzelnen in diesem System. Raus aus den Kinderschuhen Einige der von Vogt und Weibel vorge- schlagenen Instrumente dürften in Un- ternehmen für Diskussionsstoff sorgen – etwa die Forderung nach einem „Sa- lary Cap“, auch für CEOs. Zudem sehen in der Praxis manche Dinge anders aus als in der Theorie. Die Beraterin Sabine Kluge weiß, dass die Arbeitsphilosophie als Inspiration für die Unternehmen, die sie mit ihren Konsorten berät, wichtig ist. „Wenn man die Humanisierung der Arbeit im Blick hat, ändert sich alles – auch der Kontext von Ökonomie, Pro- duktivität und Ökologie“, sagt sie. Aber man müsse auch die Kirche im Dorf las- sen. Die ehemalige Siemens-Managerin und Pionierin der Working-out-loud-Be- wegung in Deutschland versteht sich als Pragmatikerin, die sich in Organisationen genau anschaut, was machbar ist. „Wir müssen immer eine Balance suchen von Veränderung und bestehender Unterneh- menskultur.“ Dass in diesem Gleichklang scheinbar manche hohen Ideale und An- sätze aufweichen, hält sie für ein Reife- merkmal. Im Übergang von einer Arbeits- weise zur anderen gehe es nicht anders. Irgendwo müsse Veränderung beginnen. Die zunehmende Kritik sei eine Reaktion des Systems auf Veränderung. „All das sind Anzeichen dafür, dass New Work er- wachsen wird“, glaubt sie. Die New-Work-Agenda brauche viel Zu- wendung und Pflege. Sabine Kluge en- gagiert sich dabei zum Beispiel im „Kon- zernaustausch Selbstorganisation“, kurz KASO. Seit 2017 treffen sich hier regel- mäßig New-Work-Vertreter und -Vertre- terinnen aus Konzernen, um sich über ihre praktischen Probleme und Herange- hensweisen auszutauschen. Dreimal im Jahr fungiert eines der teilnehmenden Unternehmen – darunter Airbus, Alli- anz, Deutsche Bahn, DHL, EnBW, EWE, SAP, Siemens und Telekom – als Gastge- ber. Zu den Mitgestaltenden dieser Aus- tauschrunden gehört Thomas Resch. Er ist Coach und Transformationsbegleiter bei der Business- und IT-Beratung Meta- finanz. Seit 2017 transformiert sich das Unternehmen radikal. Die rund 800 Mit- arbeitenden organisieren sich in etwa 70 „Business Areas“, kleinen selbstorga- nisierten Teams von fünf bis zwölf Per- sonen. Außerdem ist er mit einem selbst- gegründeten Team als Berater in ver- schiedenen Konzernen für Agilität aktiv. Kürzlich gründete der Bundesverband der Personalmanager (BPM) auf seine Initia- tive hin eine Fachgruppe für New Work. Warum gerade jetzt, wenn das Thema so stark im Kreuzfeuer steht? „Zwischen Pandemie und Post-Pandemie ist ein guter Zeitpunkt hierfür“, meint er. Un- ternehmen müssten sich damit beschäf- tigten, wie sie sich neu aufstellen. Wenn alte Führungsinstrumente nicht mehr greifen und sich eine kritische Masse an Mitarbeitenden an eine neue Flexibilität gewöhnt hat, werde es schwer, das Rad komplett zurückzudrehen. Das berge Chancen für New Work. Wandel braucht Zeit „Die Welt ändert sich radikal, vor allem durch Digitalisierung, Automatisierung und Individualisierung. Es ist höchste Zeit zu handeln, auch wenn nicht immer alles gleich perfekt ist“, meint Thomas Resch. Ob Bullshit oder krankmachende Arbeit – es wurmt ihn, wenn bisherige Bemühungen um New Work gleich als gescheitert abgestempelt werden. Vor allem, wenn Maßnahmen kritisiert wer- den, die „nur die Liegestühle auf der Ti- tanic zurechtrücken“. Diese Formulierung von Richard David Precht zitiert er gerne, um eine neue Haltung einzufordern. „Ein Kulturwandel braucht Zeit und ist an- strengend, aber lohnenswert“, so Thomas Resch. Deshalb setzt er dabei auf einen schrittweisen Ansatz. Eine Regelung fürs Homeoffice reiche sicherlich nicht. Aber wenn es gelinge, Menschen Wege für New Work aufzuzeigen, könne aus klei- nen Korrekturen ein tiefgreifender Wan- del entstehen. Er selbst möchte am lieb- sten eine Revolution starten, weiß aber auch, dass noch nicht jedes Unternehmen so radikal an Veränderung herangehen kann und möchte, wie das Metafinanz tut. Das Unternehmen bietet Teamcoa- ching und eine individuelle Karrierebera- tung: Jederzeit können sich die Beschäf- tigten einen persönlichen Coach holen. In den Teams sind Mitarbeitende selbst für ihre Arbeitsweise, ihre Führung und ihren Gewinn oder Verlust verantwortlich. Nicht blind den Trends folgen Auch wenn eine solche Umstellung nicht für alle passe, konkrete Beispiele seien als Wegweiser wichtig. Kein Unterneh- men lasse sich auf Abenteuer in der Wildnis ein. Als einer der Tourguides möchte Thomas Resch mit der neuen Fachgruppe realitätsbezogen bleiben, zu neuen Wegen inspirieren, aber auch die Vor- und Nachteile bestimmter Pfade aufzeigen. Die Führung der Fachgruppe teilt er sich mit Sabrina Dick von der SAP SE und Bernd Blessin von der VPV Le- bensversicherungs-AG. Inspiration, Netz- werkbildung und Professionalisierung – die drei Dinge hat sich das New-Work- Trio vorgenommen, vor allem mithilfe von Austauschrunden, zum Beispiel in Workshops. „Es ist wichtig, dass Perso- nalerinnen und Personaler wissen, was sie tun und nicht blind irgendwelchen Trends folgen“, erklärt Resch. Das New- Work-Barometer gibt ihm dabei recht: Laut der Befragung fehlt es vor allem an Expertinnen und Experten für New Work. Mehr als zwei Drittel (69,3 Prozent) der Befragten machten hier eine Lücke aus. Stefanie Hornung R
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