Wirtschaft und Weiterbildung 11-12/2021

wirtschaft + weiterbildung 11/12_2021 21 Ziel ist „Eudämokratie“: das gute Leben aller, auch künftiger Generationen. Menschlichkeit ist Priorität Otti Vogt und Antoinette Weibel schwe- ben Organisationen vor, die zu Archi- tekten von „Einheit in Vielfalt“ werden und bewusst die wechselseitigen Bezie- hungen der Organisationsmitglieder för- dern – und zwar so, dass die Einzelnen ihre Bestimmung und Identität in der Ge- meinschaft verwirklichen können. Dazu formulieren sie einige Grundprinzipien wie Solidarität, Integrität und Fairness einerseits und Verständnis, Hilfsbereit- schaft, Mitgefühl und Vertrauen anderer- seits. Organisationen könnten nur dann zum Nährboden für die charakterliche Entwicklung der Beschäftigten werden, wenn diese die Erfahrung machen, Teil einer wahren Gemeinschaft zu sein. Was heißt das konkret für Unternehmen, wenn Menschlichkeit vorgeht? Anders als Frischmuth möchte das Autorenduo den klassischen Instrumentenkoffer von Un- ternehmen samt bestehender Strategien, Strukturen und Prozesse ausmisten. Wei- termachen wie bisher, womöglich mit ein wenig mehr flexiblem Arbeiten, schnel- lerer Digitalisierung und immer größerer Ungleichheit kommt für sie nicht in Frage. Alles, was den klassischen Effizienzimpe- rativ bediene und einer oberflächlichen „Fail-fast-Kultur“ entspreche, müsse raus. Dagegen brauche es Platz zur Besinnung, aber auch Strukturen und Entscheidungs- regeln, die das Gesamtziel, die Reflexi- onsfähigkeit und das Lernen fördern. Fehler im Talentmanagement Exklusives Talentmanagement, zum Bei- spiel mithilfe des 9-Felder-Modells, das Unternehmen zur Prognose und Bewer- tung von Talentpools nutzen, zählen sie zu den „Krankmachern“. Denn indem sie Menschen in ein System oder Kompetenz- modell zu pressen versuchten, würden sie der Individualität der Einzelnen nicht gerecht. Die beiden Autoren brandmar- ken auch die betriebliche Praxis, Weiter- bildung zur Privatsache zu erklären oder Lernen nur noch häppchenweise darzu- R Krankmacher: Raus! Lebensstifter: Rein! Recruiting · Personalauswahl als Kostenträger (zum Beispiel mit Automa- tisierung und KI) · Kompetenzprofil vor Charakter · Intransparente Verfahren und Selektion nur vom „Boss“ · Personalauswahl als Hüter der guten Kultur: klare Definition des Werteprofils, Verhaltensspuren („No asshole rule“) · Transparentes Verfahren für Bewerbende, Teamauswahlver- fahren, wertschätzende Betreuung · Eingebettet in die Gesellschaft: Chancen für Querein­ steigende Talent Management · Exklusives Talentmanagement – zum Beispiel 9-Felder (oder ähnliche) Kategorien · Weiterbildung wird zur Privatsache, das Unternehmen bietet nur noch Lernen in Häppchen (Microlearning) · Fokus ist technische Qualifizierung · Inklusives und personalisiertes Talentmanagement: Jeder hat (andere) Talente, die gefördert werden. · Lebenslange Weiterbildung ist Ehrensache. Firma fördert und finanziert Bildung und umfassendes Peer-to-Peer-Lernen und -Lehren; Unternehmensübergreifende Entwicklungsnetz- werke · Fokus auf Entwicklung und persönliche Exzellenz: Mentoring, Gruppencoaching, Ethik für Manager Performance · CEO als „Superstar“ entlohnen · Leistungsvariable Löhne und überehrgeizige Ziele · Koordination in der Organisation durch Top-Down Ziel- und Budgetkaskaden · Individuelle Leistungsbewertung als reines Zielfeedback · Wettbewerbsorientierte Praktiken: Forced Ranking, Kommu- nikation der Tagesbesten am schwarzen Brett, Ratings · Intelligente Überwachungssoftware · Fairer (und existenzsichernder) Lohn als Hygienefaktor · Salary Cap auch für den CEO, relativ geringe horizontale und vertikale Lohnspreizung · Sorge für das Lebensumfeld: Zuschüsse für Kindertagesstät- ten, Pflege- und Kinderzeiten · Koordination in der Organisation erfolgt dialogisch (durch Transparenz) und relative Ziele · Team- und Projektziele mit Augenmaß und doppeltem Fokus auf parallele Reflexions- und Lerninhalte · Coaching, regelmäßige Feedforward-Gespräche, gemein- same Lernreflexionen, Fokus auf Werte Work Design · Strikte Hierarchie/Matrix · Detaillierte Stellenbeschreibung – „Mensch als Mittel“ · 100 Prozent Task- und Zeitdruck, qualitative Überforderung, ständige Unterbrechungen, „Fail-fast“-Mantra · Smarte Büros, um Zusammenarbeit effizienter zu gestalten · Flexible Organisations- und Team- und Netzwerkstrukturen (auch außerhalb der Unternehmensgrenzen), Anbindung an Stakeholder (zum Beispiel „anchor circle“) · Selbstorganisierte und transparente Rollen- statt Stellenbe- schreibung (Mensch im Mittelpunkt) · Arbeitsgestaltung mit Fokus auf Beziehungsqualität – Inter- dependenz und kollektive Intelligenz als Richtschnur · Ruhezeiten, meetingfreie Tage, Pausenrituale, zehn bis 20 Prozent Reflexionszeit zur gemeinsamen Erfahrungsaufar- beitung Der Einfluss von HR auf die Zukunft der Arbeit Gute Arbeit. Otti Vogt und Antoinette Weibel haben die Kritik an New Work aufgegriffen und zu einer Vision von „guter Arbeit“ weitergedacht. Um sie zu verwirklichen, sehen sie eingie Ansatzpunkte bei HR und PE. Quelle: Personalmagazin 09/21

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