Wirtschaft und Weiterbildung 11-12/2021
wirtschaft + weiterbildung 11/12_2021 19 entpuppen sie sich, wenn Menschen damit im Alltag leben müssen.“ Mensch- liche Zusammenarbeit und gegenseitiges Verständnis brauche „Raum“. Mobiles Arbeiten sei kein Entweder-oder, sondern ein Sowohl-als-auch im Zusammenspiel mit Präsenz. „Activity Based Working“ oder ähnliche Konzepte passten nicht zu jedem Unternehmen. Büros müssten nicht wie eine Spielhölle aussehen, son- dern seien zum Zusammenkommen, dem gemeinsamen Erleben und dem Aus- tausch da – dem Nährboden von Unter- nehmenskultur. 4. „Flexibel arbeiten, egal wie, wo und wann, aber wir sind dennoch maximal produktiv und erfolgreich.“ Flexibilität als Allheimmittel zu verkau- fen ist Carlos Frischmuth einen weiteren Bullshit-Stempel wert. Damit meint er vor allem den Glauben, Arbeitszeit re- duzieren und doch das Gleiche schaffen zu wollen. Trotz neuer Technologien sei es nicht möglich, in weniger Zeit immer mehr zu bewältigen und noch mehr Geld zu verdienen. „Workload ist nun mal eben Arbeit(slast) in Zeit“, schreibt Frischmuth. Die Arbeitsmenge hänge von der Aufgabe, dem Wissen und der Er- fahrung ab. Heilversprechende Narrative nach dem Mini-Max-Prinzip erzeugten nicht glücklichere Menschen, sondern schlimmstenfalls bittere Nebenwir- kungen, weil die Rechnung niemals für alle aufgehen könne. Auch wenn flexibles Arbeiten aufgrund ökologischer und öko- nomischer Vorteile zum Standard wird, das mache nicht alles besser. Vor allem allem ein neues Wording in den Berufsall- tag eingedrungen. „Gutes Marketing“ so Frischmuths Urteil. Die Erkenntnis, dass starre und bürokratische Wasserfallmo- delle oder bekannte Konzepte wie RUP oder das V-Modell75 bei umfangreichen, komplexen Projekten enorme Planungs- schwierigkeiten und hohen Termindruck erzeugen – längst geschenkt. „Es geht bei ihnen meist schlicht darum, Projekte stringent zu organisieren und zu visua- lisieren sowie Rollen und Aufgaben in- nerhalb eines Teams klar zuzuordnen.“ Wenn Cargo-Kult-Effekte oder „Scrumis- mus“ das Bild beherrschten, gerieten Er- folgsfaktoren wie gute Kommunikation, Transparenz und der Einsatz von echten Experten leicht unter die Räder. 7. „Selbstführende Teams und Holo- kratie bringen Unternehmen nach vorn und machen Mitarbeiter glücklicher.“ Auf seine Bullshit-Liste setzt Carlos Frischmuth auch den „Befreiungsopti- mismus der Selbstorganisierer“. Letztere seien meist entschiedene Anhänger der bekannten „Theorie Y“ von Douglas Mc- Gregor: Demnach sind Menschen von Natur aus zur Arbeit motiviert, agieren eigenverantwortlich und kreativ. Doch für viele Beschäftigte sei Arbeit ein not- wendiges Übel und kein Mittel zur Selbst- verwirklichung. Mitarbeitende begrüßten New Work nicht immer mit offenen Armen, sondern hätten häufig Angst vor den damit verbundenen Veränderungen. Schließlich entwickle sich Selbstorgani- sation nicht von selbst, es brauche auf- wendige Abstimmungsprozesse und Prin- zipien, an die sich alle halten müssen. Die Denke, dass Selbstorganisation Führung überflüssig mache, hält er ebenfalls für Quatsch. Selbstorganisation könne außer- dem zu Selbstzufriedenheit der Gruppe führen. Wachstum bleibe begrenzt, wenn nur das Team sich nach der Decke streckt und nicht die einzelnen Mitarbeitenden. 8. „Angestelltendasein ade – wir sind bald nur noch fluide Erwerbswesen in Selbstständigkeit, Plattformarbeit und Crowdworking.“ Auch das Narrativ einer prekären, zahlen- mäßig explodierenden neuen Selbststän- digkeit zählt für Carlos Frischmuth zu implizites und explizites Lernen entstehe durch gegenseitiges Erleben, direkte Ge- spräche und (passives) Zuhören im Büro. 5. „Unternehmen müssen sich dem Mitarbeiter anpassen und nicht um- gekehrt, sonst haben sie verloren.“ Modernste Technologie statt E-Mail, Excel & Co, Laisser-faire statt Kleidercodes oder Freiheit statt klarem Erwartungsmanage- ment – all das hält Carlos Frischmuth für Bullshit. Die digitale Toollandschaft werde breiter, doch E-Mail und Excel hätten darin nach wie vor ihren Platz. Dass sich jeder heute im Büro so anziehe wie zu Hause, ist für den Manager ein Indiz für fehlende Disziplin und zunehmende Gleichgültig- keit. „Dass Mitarbeitende mit Jeans und Turnschuhen kreativer und produktiver arbeiten, weil sie sich wohler fühlen, ist ehrlich gesagt reiner Bullshit. Umgekehrt erzeugt eine Uniformierung von Men- schen keine Gleichheit“, so Frischmuth. Auch das „Du“ im Unternehmenskontext sei nur ein oberflächliches Symbol für einen Kulturwandel und häufig sogar für eine „Fake-Kultur“. Es bringe nichts, sich immer nur nach den Wünschen der Mit- arbeitenden zu richten – man könne nie- mals allen Erwartungen gerecht werden. 6. „Neue, agile Arbeitsmethoden sind per se überlegen – die alte Welt hat ausgesorgt.“ Agile Entwicklungsmethoden wie Scrum, Kanban oder Design Thinking sind laut Frischmuth weder neu noch revolutio- när. Mit dem Bekanntwerden des agilen Manifests sei über die Jahre hinweg vor R Verschiedene Definitionen von New Work und ihre Zustimmungswerte Studie. Für das „New-Work-Barometer“ wurden 469 Menschen befragt, was sie unter New Work verstehen. Dabei wurde erstmals auch die Arbeitsort/zeit-Autonomie als Definition vorgeschlagen. Quelle: Personalmagazin 09/21 3 3,5 4 4,5 5 5,5 6 6,5 Zustimmung von 1 (überhaupt nicht) bis 7 (voll und ganz) Ergebnisse 2021 Ergebnisse 2020 Definition nach Bergmann New-Work-Charta Arbeitsort- und Arbeitszeitautonomie Psychologisches Empowerment
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