Wirtschaft und Weiterbildung 9/2021

training und coaching 48 wirtschaft + weiterbildung 09_2021 diesem Konzept von vornherein als Aus- druck einer verloren gegangenen Balance. Zwischen den Polen gilt es demnach den Ort des Glücks zu finden. Warum sollte die Mitte vergoldet werden? Dieses Konzept kommt in besondere Herausforderungen, wenn die beiden Pole beide gleich gut oder gleich wichtig sind. Es liegt in gewisser Weise nahe, das Heil in der „goldenen Mitte“ zu wähnen. Dann wird – wie Grundl schreibt – aus Nähe und Distanz „distanzierte Nähe“ oder aus Entspannung und Hartnäckig- keit „entspannte Hartnäckigkeit“. Das ist semantisch hübsch und verspricht eine Lösung ohne Nachteile. Dass etwas nicht gut gelöst werden kann, ist in der aristotelischen Philosophie auch nicht vorgesehen, da dies Zweifel an der gött- lichen Vernunft aufkommen lassen würden. Also muss die Mitte zwischen zwei Werten vergoldet werden, um dem Gedanken, dass die Welt in sich heil ist, aufrechterhalten zu können. Der aristote- lische Begriff für die Mitte ist das „rechte Maß“. Dieses Maß ist gegeben, es ist ein Merkmal der göttlich konstruierten Welt und der Mensch tut gut, wenn er sich an dieses Maß hält. Diese in der Seinslehre der griechischen metaphysischen Philosophie wurzelnde Annahme halte ich für keinen günstigen Bezugspunkt für die Problemstellungen der individualisierten und pluralistischen Gesellschaft, in der es ausgeschlossen ist, dass es ein für alle verbindliches Maß gibt. Die Mitte läge für jeden woanders. Daher braucht es eine andere Denkart, um in einer solchen Zeit ein erfülltes Leben zu führen. Die Orientierung an für alle gültigen Rezepte, Regeln, Werte, Normen und Zielen lässt sich nicht mehr – wie von Aristoteles gehofft – herstellen. Würde man Heraklit – dem philosophi- schen Gegenspieler von Aristoteles – als Referenzpunkt nehmen, würde man davon ausgehen, dass alles im Fluss ist. Die Welt ist in Bewegung, voller Unter- schiede, voller Spannungszustände, vol- ler Ungleichgewicht und daher in ständi- gem Entstehen und im dauernden Zerfall. Dieses Konzept ist – anders als Aristoteles – mit den Erkenntnissen über Evolution, Kybernetik und der Selbstorganisation von Systemen kompatibel. Sucht man hier nun nach dem Gold, wel- ches Orientierung für ein gelingendes Leben bietet, kann man nicht wie Grundl eine Transformation in einen mentalen Zustand versprechen, der die Gegensätze in der Mitte zur Versöhnung bringt. Statt- dessen muss man sich damit abfinden, dass kein Mensch gleichzeitig nah und distanziert, sicher und frei, entspannt und hartnäckig sein kann. Wenn Werte und Bedürfnisse einander widersprechen und einander ausschließen, dann kommt man in Berührung mit der Zerrissenheit der Welt, die nicht glatt aufgeht, sondern zu Entscheidungen zwingt. Aber auch in einer solchen Welt lässt sich glücklich und harmonisch leben. Gut entscheiden können Wie geht das? Die wesentliche Kompe- tenz, die man braucht, ist es, gut ent- scheiden zu können. Das klingt einfach, ist es aber nicht. Gut wählen können setzt Boris Grundl, geschätzter Kolumnist, hat im letzten Heft für die „goldene Mitte“ als den Zielpunkt gelingender Selbstregula- tion plädiert. Ich möchte diesem Ansin- nen hier widersprechen. Dieses auf Aristoteles zurückgehende Konzept fußt auf grundlegenden Annah- men der griechischen Philosophie. Es beruht auf einem Verständnis der Welt, die von einer göttlichen Vernunft geord- net ist. Jeder Abweichung der Ordnung gilt in diesem Denken als Störung einer der Welt innewohnenden Harmonie. Die Aufgabe des Menschen besteht folglich darin, diese Ordnung zu finden, zu erhal- ten und das in den Dingen liegende Maß zu erkennen. Extreme und Pole gelten in „ Das Gold liegt im Fließen, nicht in der Mitte“ DEBATTE. Unser Kolumnist Boris Grundl hat in seiner letzten Kolumne „Finde die goldene Mitte“ (Heft 7/8-2021) dazu aufgerufen, das „Prinzip der goldenen Mitte“ von Aristoteles zu beachten. Klaus Eidenschink, Organisationsberater, Executive-Coach, Gründer und Leiter des „Hephaistos Coaching-Zentrums München“, schickte uns folgenden Einspruch: Klaus Eidenschink i s t Execut i ve Coach, Konflikt- moderator und Organisationsberater. Er gilt als „Spe- zialist für Verständigung und Wandel“. Der Senior Coach im Deutschen Bun- desverband Coaching e. V. (DBVC) ist auch Gründer und Co-Leiter von „Hephaistos Coaching-Zentrum Mün- chen“, das sich als Aus- und Fortbil- dungsstätte für Trainer und Berater einen Namen gemacht hat. Hephaistos Lärchenstrasse 24 82152 Krailling Tel. 089 85662290 www.hephaistos.org AUTOR

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