Wirtschaft und Weiterbildung 6/2021

R wirtschaft + weiterbildung 06_2021 43 Kevin Dutton. Er erwarb seinen Doktortitel in Psychologie an der University of Essex. Thema seiner Promotion war „Überzeugung und sozialer Einfluss“. Er forschte und lehrte an den Universitäten Oxford und Cambridge und berät Unternehmen, Organisationen und Teams. Dutton ist Mitglied der British Psychological Society. schen Bestanden und Nichtbestanden, brauchen wir auch keine Prüfungen. Wir benötigen Ordnung in unserer verwirren- den Welt. Stellen Sie sich eine Bibliothek mit Millionen von Büchern ohne jegliche Kategorisierung vor. Wenn Sie dort ein Buch suchen, werden Sie es vermutlich nie finden. Oder ein großes Kaufhaus, in dem es keine Abteilungen gibt und alle Produkte überall sein können. Wir müs- sen Grenzen ziehen, um die Welt zu ver- einfachen, aber sobald wir die Grenzen ziehen, werden die Dinge subjektiv. Das ist ein doppelschneidiges Schwert. Mit jeder Abgrenzung schaffen wir eine Tei- lung und die wird oft als unfair betrach- tet, vor allem wenn man auf der falschen Seite ist. Die schnelle Kategorisierung kann auch gefährlich sein, weil sie stigmatisiert. Wie kann man Menschen dazu bringen, genauer nachzudenken? Dutton: Das ist sehr schwierig, weil unser Hirn von den Schwarz-Weiß-Kategorien gekapert wird. Und das wissen vor allem die Verantwortlichen in den Medien ganz genau. Wenn sie Begriffe wie Narzisst verwenden, dann ist das eine Kategorie, auf die unser Hirn sofort anspringt und ihre Zeitschriften verkaufen sich besser. Zudem arbeitet unser Hirn auch nach dem Prinzip der Einfachheit. Ich erin- nere mich an ein Gespräch mit einem britischen Topanwalt, der mir erklärte: Informationen schwirren durch unser Hirn wie der Strom in einem Stromkreis- lauf und nehmen dabei stets den Weg des geringsten Widerstands. Wenn Sie im Gerichtssaal mein Gegner sind, werde ich gewinnen, wenn meine Darstellung leichter und einfacher zu verstehen ist. Da spielt es keine Rolle, ob ich recht habe oder nicht. Gibt es einen Weg, um diesen Automatismus zu stoppen? Dutton: Es gibt eine einfache Strategie. Dabei ist es das Wichtigste, erst einmal anzuerkennen, dass unser Hirn so ar- beitet. Wenn uns die Medien Kategorien wie Narzisst hinwerfen, stürzt sich unser Hirn darauf wie auf Fast Food. Das ist wie McDonald´s für unser Hirn. Der psycho- logische Zucker macht es so abhängig, dass es nicht mehr aufhören kann zu essen und fett und faul wird. Meine Stra- tegie dagegen heißt auf Englisch „NICE“. N steht für Nuance (Nuancen), I für in- tegrate (integrieren), c für communicate (kommunizieren) und e für empathize (einfühlen). Wir müssen vorbereitet sein, dass es andere Standpunkte als unsere eigenen gibt und sie akzeptieren (Nu- ance). Daran mangelt es gerade in den sozialen Medien oft. Wer eine andere Meinung hat, den schmeißt man oftmals einfach raus. Zweitens müssen wir uns diesen anderen Standpunkten aussetzen (integrate), drittens müssen wir mit den anderen kommunizieren (communicate) und uns anhören, warum sie andere An- sichten haben und ihre Gründe dafür ver- stehen und schließlich müssen wir diese auch anerkennen (empathize). Das Setzen von Grenzen ist auch ein wesentliches Thema in der Coronapandemie ... Dutton: Wenn Sie in einer so extremen Situation wie einer Pandemie Politik ma- chen, müssen sie eine klare Grenze zie- hen. Sonst machen die Menschen, was Foto: DTV

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