Wirtschaft und Weiterbildung 6/2021

training und coaching 42 wirtschaft + weiterbildung 06_2021 dem sich die meisten Menschen irgendwo in der Mitte befinden. Aber die schnelle Zuordnung zur Kate- gorie Psychopath oder Narzisst scheint heute verbreiteter denn je zu sein. Dann heißt es, mein Chef ist ein Ekel, also ist er bestimmt ein krankhafter Narzisst. Dutton: Ja, das ist das klassische Schwarz-Weiß-Denken. Wir kleben ein Label auf die Dinge. Dabei können wir alle Narzissten und Psychopathen gleich- zeitig sein. Um ein Narzisst im klinischen Sinn zu sein, muss man die Persönlich- keitsmerkmale konsistent über einen langen Zeitraum zeigen. Das muss wie ein Lebensstil sein. Ich habe damals in meinem Psychopathie-Buch die Analogie von einem Mischpult vorgestellt, wie es Musiker nutzen. Sie können kein guter Chef sein, wenn sie nicht auch die ent- sprechende Rücksichtslosigkeit haben, um einen Mitarbeiter mit zu schlechten Leistungen zu feuern oder den Mumm, ein kalkuliertes Risiko einzugehen, wenn es notwendig ist. Je nach Situationen müssen Sie den Reg- ler für diese Charakterzüge eben manch- mal etwas aufdrehen. Problematisch wird es erst, wenn Sie das Aufdrehen nicht mehr stoppen oder den Regler nicht zu- rückdrehen können. Nehmen Sie den Tennisspieler Roger Federer. Das ist ein sehr netter Mensch, aber wenn er bei einem Match in Wimbledon im Finale steht, ist er rücksichtslos und hat kein Problem damit, seinen Gegner zu ver- nichten. Wenn er sich in seinem norma- len Leben ständig so verhalten würde, hätte er vermutlich viele Probleme. Warum neigen wir dazu, unsere Welt in Kategorien einzuteilen? Dutton: Unser Hirn hat einfach einen Kategorisierungsinstinkt. Die Kategori- sierung macht die Welt einfacher, spart Zeit und macht es leichter, Dinge zu tun. Grenzen schaffen Ordnung und sind oft auch notwendig. Denken Sie an Prüfun- gen. Wenn wir da keine Linie ziehen zwi- Sie haben 2012 ein Buch über Psycho- pathen („The Wisdom of Psychopaths“ / deutsch: „Psychopathen: Was man von Heiligen, Anwälten und Serienmördern lernen kann“) veröffentlicht, das damals für recht viel Wirbel sorgte. In Ihrem neuen Buch geht es um unser Schwarz- Weiß-Denken. Gibt es dabei einen Zusammenhang? Kevin Dutton: Als ich das Buch über Psy- chopathen geschrieben habe, hatte ich nicht die geringste Vorstellung davon, wie viel Ärger ich mir damit einhandeln würde. Denn damals war ich der erste, der behauptet hat, dass psychopathische Merkmale unter bestimmten Umstän- den auch gut sein könnten. Das löste sehr kontroverse Reaktionen aus und ich wurde heftig angegriffen. Ich habe mich gefragt, warum gab es so massive Reak- tionen? Und das führte Sie dann mehr oder weniger direkt zum Thema „Schwarz- Weiß-Denken“? Dutton: Vor meinem Buch waren alle zu- frieden mit der Kategorie „Psychopath“. Die sind schlecht, egal was sie tun, und wir sind gut. Mit dem Buch habe ich diese Grenze aufgelöst und behauptet, manchmal können auch Psychopathen gut sein und wir können schlecht sein. Es gibt also keine strikte Linie zwischen Psy- chopathen und dem Rest der Welt. Das war der Grund für den großen Wirbel und der Auslöser für mein neues Buch. Heute wird es – vor allem in der akademischen Welt – längst akzeptiert, dass die Ausprä- gungen von Persönlichkeitsmerkmalen immer auf einem Kontinuum liegen, bei „ Gute Chefs müssen auch mal rücksichtslos sein“ PSYCHOLOGIE. Menschen stecken andere Menschen oft in Schubladen. Wer in der Schublade „nett“ landet, wird dann immer für nett gehalten und andere müssen für immer mit dem Etikett „böse“ leben. In seinem neuen Buch beschäftigt sich der britische Psychologe Kevin Dutton mit dem „Kategorisierungsinstinkt“ des Menschen und wie man ihn zum Wohle aller abschwächen kann.

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