Wirtschaft und Weiterbildung 6/2021

wirtschaft + weiterbildung 06_2021 41 same Sprache sprechen können und nicht jede Managementgepflogenheit erklärt werden muss. Am besten ist es, sich den Lebenslauf eines Coachs anzuschauen und dann dem eigenen Bauchgefühl zu vertrauen, ob man Interesse hat, mit die- sem Menschen zu reden. Sollte ein Coach eher jung oder eher alt sein? Brungs: Es ist sicher möglich, dass auch sehr junge Menschen erfolgreich coachen können. Aber es ist generell doch eher unwahrscheinlich, weil junge Menschen weniger Lebens- und Berufserfahrung haben. Das lässt sich vielleicht mit einer Überlegung des griechischen Philosophen Aristoteles (Buch 1 der ‚Nikomachischen Ethik’) vergleichen zur der Frage, wer sich denn sinnvollerweise mit dem Stu- dium der praktischen Philosophie, der Ethik, Politik und Ökonomie, befassen solle. Im Gegensatz zu theoretischen Fä- chern wie der Mathematik, die auf bloßes Wissen zielen und bereits von Jünglingen zu erlernen seien, setze die Beschäftigung mit praxisbezogenen Disziplinen, die auf Entscheiden und Handeln zielen, ein ge- wisses Alter voraus. Als praktischer Philosoph müsse man in der Lage sein, eigene Emotionen zu re- gulieren, um ihnen nicht ausgeliefert zu sein, was den Jungen oft noch nicht ge- linge. Zum anderen brauche man eine all- gemeine Lebenserfahrung. Denn nur die aus einer Vielzahl von Handlungszusam- menhängen geronnene Lebenserfahrung sage einem, wie bestimmte Situationen zu bewerten und wie allgemeine Prinzi- pien auf bestimmte Einzelfälle anzuwen- den seien. Das trifft in einer gewissen Weise auch auf Coaching zu. Sie können nicht von einem jungen Menschen, der sich in vielen Fällen nur auf Lehrbuchwissen stützen kann, erwarten, dass er unter Zurücknahme seiner möglichen eigenen Präferenzen immer kluge Interventio- nen in Sachen komplexer Führungs- und Kommunikationskontexte startet. Hier unterscheidet sich die Anforderung an Coachs von der Anforderung an Fachbe- rater wie es etwa Business Consultants sind. Man kann auch nicht erwarten, dass sich die berühmte „Augenhöhe“ zu älteren und im Berufsleben gereiften Klienten einstellt, weil die Erfahrungs- räume nicht vergleichbar sind. Auch wenn wir einwenden, dass es Menschen höheren Alters ohne jegliche Selbstre- flexion und Selbstkontrolle und mit nur äußerst geringem Vorrat an Erfahrungen gibt, werden wohl alle zustimmen, dass Berufsanfänger schlicht noch keine Be- rufserfahrung haben können, die einen metaperspektivischen Blick auf das Feld erlauben könnte. Die seriösen Coaching- Verbände haben deshalb (wie es auch die Mindeststandards des Dachverbands RTC e.V. vorsehen) eine Altersuntergrenze für Coachs festgelegt, die zertifiziert werden. Aber sollte ein Coach nicht in erster Linie empathisch sein ... Brungs: Empathie ist schön und gut, aber mit ihr muss man etwas anfangen kön- nen. Was hilft es, empathisch zu sein, wenn Empathie nicht derart auf eine reale Situation übertragen werden kann, dass für das Gegenüber hilfreiche Effekte ent- stehen. Die Empathie an sich sagt noch nichts darüber aus, welche Interventio- nen im Coaching sinnvoll sind. Coaching- Kompetenzen erwirbt man durch Fach- wissen und Praxiserfahrung. Sie selbst coachen auch Wissenschaftler. Was ist da wichtig, um als Coach akzeptiert zu werden? Brungs: Da sprechen Sie mich jetzt nicht in der Rolle als DCV-Vorstand an, aber ich will doch etwas dazu sagen, das letztlich nicht nur wissenschaftsaffine Menschen betrifft. Ich komme den Leuten nicht mit irgendwelchen Interventionen, die sie als kindisch empfinden könnten. Ich fordere sie nicht auf, mit Pastellkreiden zu malen wie sie ihr Team sehen, und etwas wie „Lach-Übungen“ würde ich auch nicht einsetzten. Ich habe aber die Erfahrung gemacht, dass im Gespräch mit ver- kopften Menschen, deren Tätigkeit und Selbstverständnis sehr von analytischem Vernunftgebrauch geprägt ist, ein Fokus auf ihre körperliche Selbstwahrnehmung sehr hilfreich sein kann. Das erreiche ich nicht, indem ich mit der Tür ins Haus falle, sondern es entwickelt sich aus dem Coaching-Prozess heraus. Körperbasiert zu arbeiten, heißt, man bekommt über bewusstere Selbstwahrnehmung einen viel differenzierteren Blick auf bisher nicht beachtete – aber dennoch wirk- mächtige – Gefühlsregungen. Die entspre- chen eben nicht unbedingt dem verstan- desmäßig Bewussten, beeinflussen aber wohl Ziele und Handeln. Interview: Martin Pichler Foto: www.foto-charlotte-25.de Dr. Alexander Brungs. Der Philosoph und zertifizierte Coach ist Vorstand für Öffentlichkeitsarbeit des DCV ( coachingverband.org) .

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