Wirtschaft und Weiterbildung 6/2021

training und coaching 40 wirtschaft + weiterbildung 06_2021 höchstens ein paar Fragen stellen darf. Es fehlt das Einzelgespräch, welches allein auf die ganz individuellen Bedingungen und Horizonte der Coachees eingehen kann. Und genau die stehen ja im Zen- trum eines Coachingprozesses. Coachs mit einer ausbildungsunabhängigen Zer- tifizierung durch einen anerkannten Be- rufsverband wie den DCV werden jeden- falls nach einer ordentlichen, individuell abgestimmten Auftragsklärung einen Coachingvertrag zu fairen und nachvoll- ziehbaren Bedingungen vorlegen, der die erwähnten Praktiken ausschließt. Was genau ist der Kern von einem Coaching-Prozess? Brungs: Coaching unterstützt die persön- liche und berufliche Weiterentwicklung, die Selbstorganisation und das Selbst- verständnis. Ein guter Coach hilft seinen Klienten, über sich selbst nachzudenken, neue Fähigkeiten zu entfalten und neue Perspektiven einzunehmen. Im Coaching geht es auch darum, dass die Coachees eindimensionale Sichtweisen ablegen können und wieder mehrere Perspektiven sehen. Das gehört zum Coaching unbe- dingt dazu. Ob eine Klientin dann eine Alternative umsetzt oder lieber die Syn- these aus zwei oder mehreren Alternati- ven wählt, ist immer ihre Entscheidung. Bei beruflich veranlassten Coachings muss man das Privatleben übrigens nicht ausklammern. Es kommen schließlich nicht bloße Rollenträger, sondern ganze Menschen ins Coaching, die in ihrem Leben von Kindheit an Verhaltensmuster erworben haben, die sich auch auf das Berufsleben positiv oder negativ auswir- ken. Macht Online-Coaching Sinn? Brungs: Online-Coaching ist mehr als eine Behelfslösung. Es gibt Themen, für die sich Online-Coachings besonders gut eignen und trotz mancher Unzulänglich- keiten bietet Online-Coaching auch viele Vorzüge. Aber diese Vorzüge werden vor allem in Kombination mit einem Präsenz- Coaching wirksam. Die Zukunft liegt meines Erachtens in hybriden Formaten wie etwa Blended Coaching, bei denen Präsenz- und virtuelle Einheiten werden. Wieviel BWL-Wissen braucht ein Coach, um Manager zu coachen? Brungs: Wenn ich als Manager einen Coach suche, der vom Lebenslauf her ohne weiteres meinen Job machen könnte, dann läuft etwas schief. Durch zu viel Ähnlichkeit sinkt die Wahrschein- lichkeit, dass ich über neue Perspektiven neue Möglichkeiten sehe. Wer sich sein Ebenbild zum Coach nimmt, sucht in der Regel nur nach Bestätigung und hat Angst vor Veränderung. Andererseits ist es schon wichtig, sich einen Coach auszuwählen, der weiß, wovon Coachees sprechen, wenn sie vom Berufsalltag berichten. Ein Coach sollte wissen, wie ein hierarchisch organisier- tes Unternehmen funktioniert und wie zum Beispiel Entscheidungen getroffen werden. Es kommt schließlich darauf an, dass Coach und Coachee eine gemein- Die „Wirtschaftswoche“ Nr. 12 vom 19. März 2021 berichtete vom „Milliarden- kult ums Coaching“ und warnte vor „teuren Gurus“. Wie erkennt man eigentlich die Scharlatane unter den Coaching-Anbietern? Dr. Alexander Brungs: Beim Deutschen Coaching Verband (DCV) häufen sich in der Tat Anfragen, wie man jetzt in der Krise unseriöse Coachs erkennt. Offenbar versuchen einige Motivations-Speaker, die früher mit ihren Shows Kongresshallen gefüllt haben, sich jetzt unter dem Label „Coach“ zu vermarkten. Ich rate jedem Interessierten: Prüfen Sie Ihre Motivation, warum Sie Coaching machen wollen. Wenn Sie sagen, so wie dieser oder jener „Vorturner“ wäre ich auch gerne, dann ist Vorsicht geboten, denn viele Scharlatane sprechen verborgene Sehnsüchte an und wecken diese mit dem Versprechen, dass jeder alles erreichen könne. Der dubiose Coach behauptet: Ich bin aus widrigen Verhältnissen aufgestiegen und du kannst auch aufsteigen, wenn du dich von mir coachen lässt. Wenn du immer schön be- folgst, was ich sage, wirst du so wie ich. Meist gibt es zusätzlich zum Coaching noch andere „Module“, die man nach und nach buchen soll. Die Scharlatane- rie der Gurus besteht dann auch noch darin, dass ein Coaching versprochen wird, aber in Wirklichkeit nimmt man nur an einem Event oder einem Webinar teil, in dem man „unterrichtet“ wird und „ Ein Coach braucht Lebenserfahrung“ INTERVIEW. Wie finde ich den passenden Coach für mich? Diese Frage wird immer öfter an die Coaching-Verbände herangetragen. Dr. Alexander Brungs, einer der Vorstände des Deutschen Coaching Verbands (DCV), gibt Antworten. Der DCV gehört mit rund 200 Mitgliedern zu den mittelgroßen Coaching-Verbänden. „ Im Coaching geht es ganz entscheidend darum, eine eindimensionale Sichtweise abzulegen.“

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