Wirtschaft und Weiterbildung 6/2021

wirtschaft + weiterbildung 06_2021 39 fühlen sich kontrolliert und sind demo- tiviert. Er möchte nun daran arbeiten, wie er die Stimmung in seiner Abteilung verbessern kann. Im Coaching erläutert er, wie schwierig für ihn der Umgang mit der schlechten Arbeitsmoral seiner Mit- arbeiter ist. Da er immer wieder Mängel aufdeckt, fällt ihm das Delegieren von Aufgaben schwer. Typisch für diese erste Phase der psy- chischen Stagnation ist, dass Trautmann zwar den dringenden Wunsch hat, seine Unzufriedenheit loszuwerden, aber die Situation als etwas schildert, das ihm von außen widerfährt. In dieser Phase besteht noch keine Bewusstheit darüber, dass er für seinen Unmut vielleicht auch selbstverantwortlich ist und nicht nur die Arbeitsweise seiner Mitarbeiter. Sein überaus hoher Anspruch an Perfektion, fehlendes Vertrauen in die Arbeit seiner Mitarbeiter und seine Versuche, mit Kon- trolle seine Unsicherheit in den Griff zu bekommen, werden deutlich. Ängste verursachen Risikoaversion Ziel des Coachings in dieser ersten Phase ist es, die Bewusstheit zu fördern. Als wirksame Intervention dienen das Rück- spiegeln seines Verhaltens und das Mittei- len persönlicher Resonanzen. Und zwar achtet der Coach darauf, wie der Klient sein Thema beschreibt und wie er sich dabei verhält: „Ich sehe, dass Sie penibel alles mitschreiben, was wir besprechen. Kann es sein, dass Sie genauso die Arbeit Ihrer Mitarbeiter akribisch kontrollieren? Das wirkt auf mich sehr beschwerlich. Können Sie sich weiterhin vorstellen, wie demotivierend Ihr Verhalten für Mitarbei- ter ist, wenn Sie ihr Autonomiebedürfnis missachten?“ Trautmann reagiert betrof- fen; es wäre ihm nicht klar gewesen, was er mit seinem Verhalten auslöse. Durch Rückmeldungen und Resonanzen des Coaches entwickelt der Klient erstmals eine Bewusstheit dafür, wie sich sein Mi- kromanagement, das auf eine übertrie- bene Detailorientierung hinweist, auf die Stimmung in seinem Team auswirkt. Im nächsten Schritt erarbeiten Coach und Klient gemeinsam, welches persönliche Thema hinter seiner Risikovermeidung stecken könnte. Aufgrund einer zuvor geschilderten Situation in seinem Eltern- haus interveniert der Coach, um ihn in eine emotionale Erfahrung zu bringen: „Sie fühlten sich also als Jugendlicher oft nicht gut genug, kann das sein?“ Sinn und Zweck ist es, ihn mit sich selbst in Kontakt zu bringen und zu unterstützen, dass er ein Selbstgefühl entwickelt. Seine Antwort macht seine hinter der Risikover- meidung stehende Angst deutlich: „Ich habe mich früher oft als Versager gefühlt, der nie alles richtig macht.“ Trautmann wird bewusst, wie seine Prägung und das hohe Leistungsden- ken seiner Eltern sich heute auf sein Führungsverhalten auswirken. Weitere Wahrnehmungsfragen bringen ihn in eine körperliche Erfahrung: „Können Sie etwas von Ihrer Angst spüren, nicht gut genug zu sein, und wo im Körper spü- ren Sie diese genau?“ Seine Reaktion: „Es schnürt mir die Kehle zu“. Wichtig ist, dass der Coach den Klienten sensibel begleitet, in diesem Moment bei seinem Erleben zu bleiben. So wird ihm seine Angst noch bewusster, als Führungs- kraft verantwortlich für Fehler gemacht zu werden und letztlich zu scheitern. Er erkennt immer mehr, dass er seine Ver- sagensängste mittels strenger Kontrolle seiner Mitarbeiter bearbeitet hat. Um aus der Angstfalle herauszukommen, kann eine effektive Methode sein, die eigenen Befürchtungen einem Realitätscheck zu unterziehen: Wie real ist es, dass ich meine Führungsrolle nicht gut bewältige und an Ansehen in der Firma verliere? Mit kritischer Distanz erweisen sich diese negativen Denkspiralen oft als Panikma- che, die meist in der Fantasie auftreten. Wichtig ist auch, den Blick des Klienten auf seine Stärken zu lenken, um nicht von negativen Gedanken beherrscht zu werden, sondern vielmehr den Fokus auf das zu legen, was seinen Selbstwert stärkt. Im weiteren Verlauf gilt es zu lernen, sicherer zu werden im Umgang mit Un- sicherheit und Kontrolle loslassen zu können. Das bedeutet, sich der Angst vor Inkompetenz und Niederlagen zu stellen. Dafür platziert ihn der Coach vor einen leeren Stuhl. Der „leere Stuhl“ ist eine der zentralen gestalttherapeutischen Techniken – und zwar mittels der Fanta- siegesprächstechnik bittet der Coach ihn, sich vorzustellen, dass er als Junge mit seiner Angst, nicht zu genügen, auf die- sem Stuhl sitzt. Durch das Visualisieren und Einfühlen kann er die Angst des Jun- gen spüren und ein Mitgefühl entwickeln – ein wertvoller Moment und wichtiger Schritt in seinem Veränderungsprozess. Das Ziel: Sicher werden im Unsichersein Der Klient steht nun an der Schwelle zur zweiten Phase, der Überwindung der Stagnation verbunden mit dem Wunsch, Selbstverantwortung zu übernehmen und Risiken trotz und mit aller Angst einzu- gehen und diese Ängste in sein Leben zu integrieren. Er möchte mehr Vertrauen in die Arbeit seiner Mitarbeiter entwickeln. Das bedeutet, eine größere Fehlertoleranz zu haben und die Entscheidungsk raft zu stärken. Das Ergebnis: In seinem Veränderungs- prozess gelingt es Trautmann immer bes- ser, sein kontrollierendes Verhalten zu überwinden, delegieren zu können und Vertrauen zu entwickeln – und zwar in die eigenen Fähigkeiten und die seiner Mitarbeiter. „Mut zur Unsicherheit“ ist eine persönliche Haltung von Führungs- kräften, die für die Bewältigung der He- rausforderungen in vielen Handlungsfel- dern erforderlich ist. Gerda Bornschier Gerda Bornschier ist als Coach, Gestalttherapeu- tin und Persönlich- keitsentwicklerin von München aus überregional tätig. Ihre Schwerpunkte sind Coachings für Privatpersonen in Umbruchsituatio- nen und in Phasen der Neuorientie- rung sowie Coachings für Fach- und Führungskräfte und Executives auf dem Weg in die neue Arbeitswelt. Gerda Bornschier Coaching Antonienstraße 3 80802 München Tel. +4989 80032262 www.gerda-bornschier-coaching.de AUTORIN

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