Wirtschaft und Weiterbildung 6/2021
training und coaching 38 wirtschaft + weiterbildung 06_2021 verantwortlich machen (siehe unser Fall- beispiel). In der zweiten Phase lernt die Führungs- kraft, die Stagnation zu überwinden, aus dem Opferdasein auszusteigen und Selbstverantwortung zu übernehmen. Der Klient erkennt seinen inneren Kon- flikt und wie er sich selbst erfolgreich behindert, aber auch, wie er seine eige- nen Ressourcen besser nutzen kann. Aus einer ressourcenorientierten Perspektive werden im Coaching-Prozess positive Erfahrungen aus früheren ungewissen Situationen und ein Stärkendenken be- wusst gemacht. So können Handlungs- blockaden aufgelöst, eine innere Un- sicherheitstoleranz entwickelt und die Kraft auf das gelenkt werden, was sich gestalten lässt. Der Coach unterstützt und fördert die Bewusstheit des Klienten im „Hier und Jetzt“ über seine Wahrneh- mungen und sein Erleben, damit er sein Bedürfnis zunehmend deutlich spürt und beschreiben kann. Dabei werden gemäß der Theorie der Bedürfnispolaritäten (Kontrolle versus Loslassen) einige Ver- meidungsstrategien deutlich, die der Er- füllung der Bedürfnisse entgegenstehen. Dies geschieht im Coaching ganzheitlich – zwischenmenschlich, emotional, intel- lektuell und körperlich – basierend auf der Annahme, dass alle Bereiche einen Menschen ausmachen und eine ganzheit- liche „Gestalt“ bilden. Für das Gelingen des Prozesses ist der Kontakt und die verlässliche Beziehung zwischen Coach und Klient einer der Hauptwirkfaktoren im Veränderungspro- zess. Die Persönlichkeit des Coachs und seine offene und kraftvolle Begleitung auf Augenhöhe dienen zudem als Interven- tion im Prozess. Außerdem ist eine dialo- gische Haltung, die die Einmaligkeit eines Menschen in seinem Wesen wahrnimmt und sich nicht in „diagnostischen Etiket- tierungen“ verliert, ist grundlegend für die Gestalttherapie. Gestalttherapeutische Interventionen im Coaching Das folgende Fallbeispiel beschreibt den Ablauf eines Coaching-Prozesses: Rüdiger Trautmann (Name geändert), der seit drei Jahren als Abteilungsleiter mit 15 Mitarbeitern in einem Bildungsun- ternehmen arbeitet, kommt nach einem für ihn ernüchternden Verlauf eines Mitarbeitergesprächs ins Coaching und möchte das Ergebnis reflektieren. Fazit seiner Beurteilung ist, dass Beschwerden von Mitarbeitern über ihn zunehmen: Sie Viele Manager halten aus einem Ohn- machtsgefühl heraus an Bestehendem fest – was mögliche Entwicklungen hemmt. Unsicherheit geht oft mit Per- fektionismus und Selbstzweifel an der eigenen Person einher und ist mit Angst verbunden – zum Beispiel der Angst, eine falsche Entscheidung zu treffen und damit gefühlt eine „Katastrophe“ auszu- lösen. Wer jedoch kein Risiko eingeht, entscheidet sich für ein Hinnehmen und Aushalten seiner Lage. In der Gestalttherapie, die von den Psy- choanalytikern Fritz und Lore Perls gemeinsam mit Paul Goodman in den 1940er Jahren begründet wurde, heißt diese erste Phase die „psychische Stag- nation“. Typisch für diese Phase ist, dass Führungskräfte ihren kontrollierenden Führungsstil rechtfertigen, indem sie die Verhaltensweisen der Mitarbeiter dafür Entscheiden unter Unsicherheit COACHING-FALLBEISPIEL. Risiken gehören zum Alltag von Führungskräften. Wer sein Team durch ungewisse Zeiten führen will, muss Mut zum Risiko beweisen, das Unerwartete gut managen, Komplexität meistern und mit Ambivalenzen umgehen können. Es gilt, eine Unsicherheitstoleranz zu entwickeln.
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