Wirtschaft und Weiterbildung 6/2021

wirtschaft + weiterbildung 06_2021 25 und die Länderhoheit abschaffen. Zen- tralismus ist keine Garantie für Erfolg, aber wir brauchen schon einen Rahmen für ganz Deutschland.“ Außerdem be- fürwortete der Bundesarbeitsminister staatlich geförderte Bildungszeiten, die so selbstverständlich werden wie Eltern- zeiten. Weiterbildung dürfe keine „Eliten- veranstaltung“ bleiben, was der Bundes- arbeitsminister unter anderem mit einem Rechtsanspruch auf Neuerwerb eines Be- rufsabschlusses adressieren möchte. Neben der stärkeren Transparenz und Personalisierung des Angebots kommt es laut Hubertus Heil darauf an, die Betriebe in ihren Weiterbildungsbemühungen zu unterstützen, die das nicht aus eigener Kraft schaffen. Große Unternehmen hät- ten keine Schwierigkeiten gute Weiterbil- dungsstrategien zu entwickeln, aber KMU verfügten nicht immer über die nötigen Ressourcen. Es brauche Investitionshilfen für Unternehmen und verstärkte Weiter- bildungsberatung der Beschäftigten. Kornelia Haugg, Abteilungsleiterin für be- rufliche Bildung und lebenslanges Lernen im Bundesministerium für Bildung und Forschung, warb hingegen in der Diskus- sionsrunde, die sich an die Vorstellung des OECD-Berichts anschloss, für einen differenzierteren Blick: Die OECD gehe stark auf die staatliche Zentralisierung ein, vernachlässige aber die Ebene der Unternehmen und des Individuums. Bei den Unternehmen dürfe man nicht über einen Kamm scheren. Internationale Champions aus dem Mittelstand seien sehr wohl in der Lage, die Qualifizierung ihrer Beschäftigten hinzukriegen. Viele Unternehmen machten niederschwellige Angebote, die bezüglich Zeit und Geld stimmten und trotzdem nicht angenom- men würden. Es brauche deshalb auch Gewerkschaftsvertreter. „Tarifverträge sind ein wichtiges Instrument.“ Das sah auch Evelyn Räder, Abteilungs- leiterin Arbeitsmarktpolitik beim Deut- schen Gewerkschaftsbund, so, merkte aber an: „Es gibt Leuchttürme bei den Weiterbildungstarifverträgen, die Qualifi- zierung mitregeln, aber auch Branchen, die sich beharrlich weigern, solche Tarif- verträge abzuschließen.“ Deshalb dürfe man die Weiterbildung nicht nur dem freien Spiel der Kräfte überlassen. „Wir brauchen Berufsberatung, Anreize und Ansprüche, nicht nur Ermessensleistun- gen.“ Es gehe um Chancengleichheit und bessere Beschäftigungsfähigkeit, nicht darum, Qualifizierung kurzfristig auf dem Arbeitsmarkt verwerten zu können. Des- halb stehe man von Gewerkschaftsseite der Teilqualifizierung kritisch gegenüber. „An Tarifverträgen sitzen die Sozialpart- ner schon dran“, erklärte Susanne Mül- ler, Stellvertretende Abteilungsleiterin für Bildung und berufliche Bildung der Bundesvereinigung der Deutschen Ar- beitgeberverbände. Sie verwies auf den kürzlichen Abschluss in der Metall- und Elektroindustrie, bei dem auch Weiterbil- dung eine Rolle spielte. Was fehle, sei oft die Vernetzung der Unternehmen und die Expertise bei der strategischen Personal- planung. „Das ist für viele ein Blick in die Glaskugel.“ Außerdem hätten Geringqua- lifizierte häufig kein Interesse an Weiter- bildung. „Da müssen wir noch stärker coachen, um den individuellen Benefit deutlich zu machen. Eine Weiterbildungs- kultur kann man nicht verordnen, sie lebt davon, dass Menschen sehen, was sie davon haben.“ Das sei aber nicht nur eine Frage der Finanzen. 90 Prozent der deut- schen Unternehmen hätten zuletzt eine Rekordsumme von 41 Milliarden Euro in Weiterbildung investiert. „Für den Struk- turwandel muss es aber die richtige Wei- terbildung sein. Wir sollten dem Markt mehr vertrauen.“ Viel helfe nicht immer viel. Welche Kosten mit der Reform des deut- schen Weiterbildungssystems verbun- den sind, blieb derweil offen. Bundesar- beitsminister Heil wagte nur eine grobe Hausnummer: „gigantische“. Er sprach gleichwohl lieber von Investitionen und möglichen Folgekosten, wenn man diese unterließe. Dann schlügen Massenentlas- sungen und Kosten für die Sozialversi- cherung zu Buche, wohingegen Weiter- bildung die Kosten für Arbeitslosigkeit verringere. „Ein vorsorgender Sozialstaat ist immer noch besser als ein nachsor- gender, er ist auch effizienter und preis- werter.“ Auch Bundesbildungsministerin Karliczek wollte sich nicht von der Kos- tenfrage aufhalten lassen. Deutschland sei am Anfang eines Transformationspro- zesses, da ließen sich die Kosten nicht einfach beziffern. Doch Zahlen gibt es durchaus: Allein für die Nationale Bil- dungsplattform sind bis 2025 insgesamt rund 630 Millionen Euro vorgesehen. Das Projekt InnoVET fördert das BMBF mit 82 Millionen Euro. Hohe Dringlichkeit, schlechte Datenlage, geringes Tempo Ob die durch die OECD angestoßene Diskussion nun Tempo in die Nationale Weiterbildungsstrategie bringt, bleibt ab- zuwarten. Im Chat der digitalen OECD- Veranstaltung äußerten sich Experten durchaus skeptisch. So schrieb Dieter Dohmen, Managing Director des For- schungsinstituts für Bildungs- und Sozi- alökonomie und Autor einer der Studien, die die OECD zurate gezogen hatte: „Die Praxis hinkt meilenweit hinterher. Der Verweis auf Papiere wie die Nationale Weiterbildungsstrategie hilft nur bedingt, wenn diese im Schneckentempo umge- setzt werden.“ Viele der von der OECD erwähnten Punkte seien „uralt“ – und die Zeithorizonte der Umsetzung zu langsam und träge. Da in den nächsten 15 Jahren 18 Pro- zent der Arbeitsplätze automatisiert und weitere 36 Prozent von erheblichen Ver- änderungen betroffen sein könnten, for- derte Stefano Scarpetta, OECD-Direktor für Arbeit und Soziales, messbare Ziele mit quantitativen Indikatoren, um die Weiterbildungsbeteiligung zu steigern – und zwar für die nächsten zehn, nicht 50 Jahre. „Es ist dringend, wir müssen jetzt handeln.“ Stefanie Hornung Literaturtipp. Die OECD-Studie findet sich zusammengefasst im Internet unter https://www.oecd-ilibrary.org/ sites/1f552468-en/index.html?itemId=/ content/publication/1f552468-en

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