Wirtschaft und Weiterbildung 6/2021
personal- und organisationsentwicklung 24 wirtschaft + weiterbildung 06_2021 gung von Geringqualifizierten zu stopfen, empfiehlt die OECD folgendes: Die Ent- wicklung einer Bund-Länder-Initiative für Erwachsene mit geringen Grundkompe- tenzen, eine Verbesserung der finanziel- len Anreize für Erwachsene mit geringen Grundkompetenzen sowie die Finanzie- rung von Outreach-Aktivitäten zur Akti- vierung der Zielgruppe. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil nannte die Studie einen „Wake-up-Call“: Es brauche eine „Weiterbildungsrevolu- tion“, einen „Wumms in der Weiterbil- dung“. Anja Karliczek, Bundesministerin für Bildung und Forschung, sprach von „Rückenwind und Motivation“ für die „Nationale Weiterbildungsstrategie“, die im Juni 2019 verabschiedet worden war. Darin sind zehn Handlungsziele formu- liert, bei denen die OECD mit ihrer neuen Studie Nachbesserungen anmahnt. Bun- desministerin Karliczek spricht von Stär- ken und Schwächen, die der Bericht of- fenbare. Man müsse den Zugang zu Wei- terbildung verbessern, Teilqualifikationen zum schrittweisen Erwerb des Berufsab- schlusses („ValiKom“) ausbauen und ein Plattform-Ökosystem der Weiterbildung etablieren, um die spezifischen Bedarfe zusammenzuführen. Startschuss für „Nationale Bildungsplattform“ Auf dem OECD-Event blieb noch relativ vage, wie diese Plattform aussehen soll. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil wurde etwas deutlicher: Gemeinsam mit der Bundesagentur für Arbeit wolle man ein zentrales Onlineportal zur berufli- chen Weiterbildung etablieren, in das bestehende Plattformen überführt wer- den sollen. „Die Unübersichtlichkeit ist ein Problem“, sagte er. Einige Tage spä- ter gab dann Bundesbildungsministerin Karliczek in Berlin den offiziellen Start- schuss für das Projekt einer „Nationalen Bildungsplattform“: Vom Schulkind bis zum Rentner sollen alle Menschen Zu- gang zu digital gestützten Bildungsange- boten erhalten. Die Ausschreibungsphase dafür läuft: Antragsberechtigt sind staat- liche und nicht staatliche Hochschulen, außeruniversitäre Forschungseinrichtun- gen, Verbände, Vereine und sonstige Or- ganisationen sowie Unternehmen der ge- werblichen Wirtschaft. Das Projekt einer „Nationalen Bildungsplattform“ ist am- bitioniert. Bestehende und neue digitale Bildungsplattformen wolle man in dem bundesweiten und europäisch anschluss- fähigen System verknüpfen. Über die Metaplattform sollen nicht nur Lernende passgenaue Angebote finden, sondern auch Lehrende digitales Unterrichtsma- terial, pädagogische Unterstützung und Beispiele aus der Praxis erhalten. Damit nicht genug: Auch Bildungszertifikate – also Zeugnisse und Diplome – sollen User der Plattform verschlüsselt ablegen können, um erworbene Kompetenzen zu dokumentieren. Die Prototypen sollen bis zum Jahresende technologische Konzepte definieren, die in der zweiten Jahreshälfte 2023 die Freischaltung einer ersten Beta- Version der Bildungsplattform ermög- lichen. Die Rede ist auch immer wieder von Fachpersonal, das die Qualitätsstan- dards setzen und diese fortlaufend über- prüfen soll. Was gut klingt, könnte sich leicht als mas- sive Fehlinvestition erweisen. Der Koali- tionsausschuss hatte im August letzten Jahres bereits eine digitale Bildungsof- fensive ausgerufen, die den Aufbau einer bundesweiten Bildungsplattform bein- halten sollte. Auch das Bundesbildungs- ministerium sammelte mit seinem Inno- vationsprojekt „INVITE“ Ideen für eine übergreifende digitale Plattform für be- rufliche Weiterbildung. Und schon 2019 hatten Akteure aus den Reihen der CDU das Konzept einer staatlich finanzierten Online-Weiterbildungsplattform namens MILLA lanciert („Modulares Interaktives Lebensbegleitendes Lernen für Alle“), mit dem sie eine Art „Netflix der Bildung“ in Aussicht stellten. Dass all diese Projekte scheiterten oder bis heute wenig Fahrt aufgenommen haben, liegt sicherlich an den vielfältigen Schwierigkeiten eines solchen Unterfangens. Nicht nur der Fö- deralismus, die technische Vielfalt und die Heterogenität der Angebote sind ein Problem, sondern auch die Frage, inwie- fern informelle Bildung zum Beispiel über Wikipedia, Youtube, MOOC-Plattformen oder Angebote neuer Player wie Udacity, Google oder HPI hier eine Rolle spielen, wie Angebote angesichts der Komplexität systematisiert und wie die Qualitätssiche- rung wirklich gewährleistet werden kann. Woher sollen die Regeln und Prozesse für die Standardisierung und die Quali- tätssicherung kommen – wird etwa das Fachpersonal schon in der Programmie- rungsphase zum Einsatz kommen? Wie heterogen oder föderal wird die Plattform gestaltet sein? Wird das Lernen direkt auf der Plattform oder in anderen Anwendun- gen stattfinden? Letztlich wird sich die Bundesregierung auch die Frage gefallen lassen müssen, inwiefern eine national konzipierte Plattform überhaupt zeitge- mäß ist, während kommerzielle Plattfor- manbieter längst international denken. Wie viel Föderalismus braucht Weiterbildung? Auf der OECD-Veranstaltung äußerte sich Anja Karliczek nicht zu derart konkreten Fragen und sprach vielmehr darüber, wie sie die digitale Struktur des Ökosystems mit Leben füllen, nicht-akademische Bil- dung aufwerten und hybride Bildungsmo- delle unterstützen möchte. Hierfür habe man mit dem Projekt InnoVET, einem In- novationswettbewerb des BMBF, bereits vorgelegt. Im vergangenen Jahr wurden 17 Projekte ausgewählt, mit insgesamt 89 Verbundpartnern wie etwa Unternehmen, Weiterbildungsanbieter, berufsbildende Schulen, Bildungszentren oder Bildungs- und Forschungseinrichtungen. Vier Jahre lang können sie ihre Konzepte erproben. „Die Weiterbildungsanbieter müssen sich im Markt halten und passend zugeschnit- tene Angebote machen, für das, was ge- braucht wird“, so Karliczek. Die Ministe- rin möchte hier offensichtlich nicht allein auf die Marktdynamik vertrauen. In Bezug auf den Verbesserungsvorschlag der OECD, einen gemeinsamen Rechts- rahmen im gesamten Bundesgebiet zu schaffen, zeigte sich die Bundesministe- rin skeptisch – ein Punkt, der auch die neue Weiterbildungsplattform betreffen dürfte. Es gelte, die Besonderheiten des deutschen Weiterbildungssystems zu be- rücksichtigen. „Wir sind pluralistisch und föderal organisiert. Es gibt nicht das eine System, sondern es ist auf viele Schultern verteilt.“ Bundesarbeitsminister Hubertus Heil sprach sich hingegen explizit für ein na- tionales Weiterbildungsgesetz aus: „Na- türlich will niemand den Föderalismus R
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