Wirtschaft und Weiterbildung 6/2021
titelthema 20 wirtschaft + weiterbildung 06_2021 ist durch sehr lange Arbeitszeiten, wenige Pausen und mangelnde Muße für tieferge- hende Reflexionen gekennzeichnet, wäh- rend die Freizeit durch zu wenig Schlaf geprägt ist. Die eingesetzten Leistungsbeurteilungssy- steme sind methodisch oft sehr defizitär. Die tatsächliche Leistung wird also nur sehr unvollkommen erfasst und kann damit auch nicht adäquat belohnt wer- den. Wichtiger als die tatsächliche Lei- stung ist allzu oft die Beziehung zu den Vorgesetzen, zur Geschäftsführung, zum Aufsichtsrat. Dies hat im schlimmsten Fall zur Folge, dass besonders fähige Leute auf der Strecke bleiben und unge- eignetere Kollegen trotz offensichtlicher Defizite schneller aufsteigen. Leistung lohnt sich in solchen Unternehmen nicht oder kaum. Erkennen junge Nachwuchs- führungskräfte dieses Prinzip, so lernen sie von den alten Hasen, ihre mikropo- litischen Kompetenzen zu schärfen und vernachlässigen ihre eigentlichen Auf- gaben. So wird nach und nach das Lei- stungsprinzip immer weiter ausgehöhlt. Damit gehen monetäre Belohnungssy- steme einher, die Managementfehler begünstigen. Besteht für Vorstandsmit- glieder, die schwerwiegende Fehler be- gehen, das größte Risiko darin, dass sie mit einer Millionenabfindung früher als gedacht freigesetzt werden, so spiegelt sich hierin nicht das Leistungsprinzip, sondern eine Vollkaskomentalität. Hinzu kommen die immensen Gehaltssteige- rungen in Spitzenpositionen der vergan- genen Jahrzehnte, die einen Aufstieg in entsprechende Positionen zu einem rei- nen Selbstzweck werden lässt. Wer sich hier auch nur für kurze Zeit hält, macht in jedem Fall einen satten Gewinn. Bei Vorstandpositionen ergibt sich zusätz- lich das Problem vielfältiger Interessens- konflikte der Aufsichtsratsmitglieder, die einer leistungsorientierten Führung zu Gunsten des Unternehmens mitunter im Wege stehen. Denken wir hierbei zum Beispiel an einen Aufsichtsratsvorsitzen- den, der seinen Zögling als Vorstandvor- sitzenden installiert hat und daher an einer strengen Bewertung seiner Leistung wenig Interesse hat. Oder denken wir an einen Vorstandsvorsitzenden, der seiner- seits als Vorsitzender eines Kredithauses von der Überschuldung desjenigen Unter- nehmens profitiert, in dem er den Auf- sichtsrat führt. So etwas soll es ja hin und wieder geben. Entscheidung ohne Fakten Sozialpsychologische Prozesse dürften wohl nur äußerst selten als Quelle von Managementfehlern bewusst reflektiert werden. Auch hier lassen sich jedoch zahlreiche Phänomene beschreiben, die Fehlentscheidungen im Management begünstigen. Das Prinzip der sozialen Vergleichsprozesse beschreibt, wie Men- schen ihre eigenen Meinungen oder Entscheidungen hinterfragen, um selbst ein Gefühl der Sicherheit zu erleben. Im Prinzip stehen ihnen hierzu zwei Mög- lichkeiten zur Verfügung. Sie können entweder nach objektiven Fakten suchen, um zu einer richtigen Entscheidung zu gelangen oder sich an dem orientieren, was Menschen in ihrer Umgebung den- ken. Die Forschung zeigt, dass wir den zweiten Weg selbst dann bevorzugen, wenn objektive Fakten zur Verfügung stehen. Dies wiederum führt dazu, dass mit höherer Wahrscheinlichkeit Fehlent- scheidungen getroffen werden, wenn die Vergleichspersonen ebenfalls Fehler ma- chen. Das Phänomen ist beispielsweise aus dem Personalwesen bekannt. Vor die Entscheidung gestellt, ob man einen In- telligenztest zur Auswahl von Managern einsetzen sollte oder nicht, schauen die Verantwortlichen nicht etwa in die wis- senschaftliche Fachliteratur, sondern ori- entieren sich an anderen Unternehmen und entscheiden sich dann gegen einen solchen Test. Dabei wirken sie selbst wie- der als Vergleichsmaßstab für andere Un- ternehmen. Am Ende treffen immer mehr Unternehmen eine Fehlentscheidung, fühlen sich darin aber extrem bestätigt. Eine mangelnde Feedbackkultur trägt in vielen Unternehmen dazu bei, dass Mit- arbeiter ihre eigene Führungskraft nicht auf deren Entscheidungsfehler aufmerk- R Tipps. Will man das Scheitern von Managern von vornhe- rein vermeiden, sind folgende Maßnahmen zu empfehlen: · Einsatz valider Methoden bei der Besetzung von Manage- mentpositionen (hochstrukturiertes Einstellungsinterview, Intelligenztest, Arbeitsproben, Assessment Center) · Messung negativer Persönlichkeitsmerkmale bei der Besetzung von Spitzenpositionen · Zurückdrängen des Einflusses von Netzwerken, Sympa- thien und Ähnlichem bei der Stellenbesetzung · Messen der Leistung durch objektivierte Verfahren · Orientierung der Belohnungssysteme an der realen Lei- stung des Einzelnen und Eliminierung von hohen Abfin- dungszahlungen · Einsatz effektiver Personalentwicklungsmaßnahmen (Videofeedback, 360°-Feedback, professionelles Coa- ching) und Evaluation derselben · Etablierung einer offenen Feedbackkultur · Fachliche Ausbildung der Manager auf dem Gebiet der Urteilsfehler und Förderung der Selbstreflexion · Förderung eines konstruktiven Führungsverhaltens · Downsizing der Menge von Arbeitsaufgaben einzelner Manager durch mehr Delegation von Verantwortung · Moderation von Gruppenentscheidungsprozessen vor dem Hintergrund sozialpsychologischer Erkenntnisse Gegensteuern
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