Wirtschaft und Weiterbildung 6/2021

menschen 14 wirtschaft + weiterbildung 06_2021 SYSTEMISCH DENKEN. Krisenzeiten – so schwer sie jetzt auch für viele Unternehmen und Selbstständige sein mögen - sind Zeiten des Lernens und Zeiten der kritischen Reflexion. Insbesondere sollten bisherige Annahmen und Denkprämissen auf den Prüfstand gestellt werden. In diesem Sinne sind die folgenden Thesen von Torsten Groth, systemischer Berater bei Simon, Weber & Friends, Heidelberg, zu verstehen. 1. Systemdenken ist aktueller denn je. Die Coronapandemie zeigt auf, dass wir in einer vernetzten, komplexen Welt leben - in einer Welt voller Wechselwirkungen, die Undurchschaubar- keiten erzeugen. Bei allen Entscheidungen ist zukünftig damit zu rechnen, dass Unberechenbares passiert. 2. Das Bearbeiten von Unsicherheit (man spricht von „Unsi- cherheitsabsorption“) wird immer wichtiger. Wir haben es mit einer Welt zu tun, in der wir uns von Ideen und Tools der Vor- hersagbarkeit verabschieden müssen. Für Organisationen und Teams werden die Fähigkeiten, sich bewusst in Unsicherheiten (und nicht in illusionären Scheinsicherheiten) zu bewegen, an Bedeutung gewinnen. 3. Ansätze zum „Managing the unexpected“ (ursprünglich for- muliert von Karl E. Weick und Kathleen M. Sutcliffe) sollten wieder an Aufmerksamkeit gewinnen und sind weiterzuentwi- ckeln. Hier geht es um die anspruchsvolle Aufgabe, auf allen Ebenen einer Organisation eine „kollektive Achtsamkeit“ zu installieren. 4. Wenn es vermehrt um Achtsamkeit geht, treten Fragen der Kopplung von Körper-Psyche-Interaktion-Organisation-Gesell- schaft stärker hervor. Ansätze, die bewusst die Systemdifferen- zierungen aufzeigen, um im Anschluss das spezifische Zusam- menwirken einzelner Systemtypen in den Blick zu nehmen, können relevanter werden. Ein zukünftiges Thema könnte die Kopplungskunst sein: Wann fragt und hört man auf Bauch- gefühle, die vermehrt auftreten, ab wann folgt man stärker 15 Thesen zur Über­ lebenssicherung nach Corona einer Gesellschaftsentwicklung, die sich noch nicht in Zahlen zeigt, wann gibt man Teams Autonomie, wann vertraut man auf Verfahren. 5. Management und Beratungsansätze, die das langfristige Überleben als Kriterium führungsseitig höher bewertet als rein ökonomische Erfolgskriterien, bedürfen nun der weiteren Aus- arbeitung: An welchen Kriterien wird „Überleben“ gemessen, was sind die relevanten Überlebenseinheiten, und was sind die relevanten Zeithorizonte des Denkens? 6. Führung bleibt „postheroisch“ (Dirk Baecker). Auch wenn derzeit auf der Vorderbühne einzelne Personen heroisiert wer- den und Prozesse der Autoritätszuschreibung in Krisenzeiten funktional sein können, so zeigt sich auf der Hinterbühne, dass erfolgreiche Interventionsstrategien Strategien der Vernetzung und Koordination von verteiltem Wissen sind. Wenn sich Füh- rung stärker in Netzwerken zeigt, welche Kompetenzen sollten Führungskräfte zukünftig mitbringen? 7. Strategisch geht es zukünftig mehr um Robustheit und Re- silienz. Ein bewusst vorgehaltener Ressourcenüberschuss, Räume für experimentelle Vorgehensweisen, Möglichkeiten, alternative Geschäftsmodelle zu erdenken, sollten in ihrer Be- deutung für die Überlebensrelevanz erkannt werden. 8. Die „Intelligenz“ von Familienunternehmen tritt deutlicher hervor. Gemeint ist die von vielen (aber sicher nicht allen) Familienunternehmen mit „Enkelfähigkeit“ zusammengefasste Ausrichtung auf Langlebigkeit. Von vielen langfristig erfolg- Torsten Groth. Er ist Soziologe, selbstständiger Organisations- berater sowie Trainer zu Anwen- dungsfragen der Systemtheorie in Management und Beratung (www.simon-weber.de). Foto: SWF

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