Wirtschaft und Weiterbildung 7_8/2021
personal- und organisationsentwicklung 38 wirtschaft + weiterbildung 07/08_2021 Das Phänomen der Wassermelone PSYCHOLOGIE. Unternehmen sind heute mehr denn je auf Höchstleistungen und Innovationen angewiesen. Doch häufig herrscht unter den Mitarbeitenden Angst vor dem Scheitern und eine Kultur des Verschleierns und Beschönigens wächst immer weiter. Das sogenannte „Wassermelonen-Reporting“ hält oftmals Einzug. Grund dafür ist mangelnde psychologische Sicherheit. Wie Führungskräfte gegensteuern können. che man immer noch zu beschönigen – quasi Lippenstift auf das Ferkel aufzu- tragen“. Probleme werden verheimlicht, Fehler vertuscht und die Schuld anderen zugeschoben. Der Dieselskandal in der Automobilindustrie ist ein Beispiel dafür, wenn eine solche Kultur die Überhand gewinnt. Niemand traute sich, Probleme rund um teilweise unerreichbare Ziele an- zusprechen und zuzugeben. In vielen Unternehmen mangelt es an psychologischer Sicherheit. Eine globale Studie der Ipsos-Group zeigt, dass mehr als die Hälfte der Befragten ihren Arbeits- platz als „psychologisch unsicher“ bewer- ten. Diese Observation machten auch wir in der Begleitung zahlreicher Meetings in Großkonzernen. Zudem verdeutlichen unsere Messungen des Team-Klimas eine Diskrepanz zwischen Führungskräften und Mitarbeitenden: Mitarbeitende be- urteilten das Team-Klima als weniger psychologisch sicher als Vorgesetzte. Studien zeigen, dass diese Ängste und Unsicherheiten durch den zunehmenden Kostendruck und Transformationszwang in Krisen wie der Coronapandemie weiter geschürt werden. Trotz der zunehmenden Unsicherheiten und Ängste der Belegschaft haben wir festgestellt, dass sich das Thema „Psycho- logische Sicherheit“ bislang eher selten auf der Führungsagenda wiederfindet. Statt einen offenen, hierarchieübergrei- fenden Austausch über Herausforderun- gen zu führen, werden die Sorgen der Belegschaft oft mit ambitionierten Zielen überlagert. Anfang 2021 begleiteten wir eine Topmanagement-Konferenz eines in- ternationalen Großkonzerns: Nach einem erstaunlich erfolgreichen Geschäftsjahr – trotz der Coronapandemie – war die Bot- schaft des CEOs im Hinblick auf die Zu- kunft klar: „Wir brauchen mehr Wachs- Viele Führungskräfte sind überzeugt, dass in ihrem Team eine Kultur herrscht, in der Probleme offen angesprochen und Fehler zugegeben werden können. Un- sere Studien mit über 150 Teilnehmenden aus Großkonzernen zeigen, dass die Rea- lität meist anders aussieht. Ein Manager fasste die Angst, Probleme zu kommuni- zieren, wie folgt zusammen: „Wir haben ein extremes Wassermelonen-Reporting: außen grün und innen rot.“ Teammitglie- der berichten bei Projektstatusberichten mit Ampelsystemen lediglich grüne Am- peln, obwohl der Projektstatus tatsäch- lich gelb oder sogar rot ist. Gelbe Projekt ampeln werden nur gesetzt, wenn es gar nicht anders geht. Projektampeln auf rot zu setzen, ist aus der Sicht der meisten unmöglich. Befragte erklärten, dass eine verbreitete Ansicht lautet: „Erfolg ist die einzige Option, Scheitern ist verboten.“ Daher wagen es viele nicht, Probleme an- zusprechen und Fehler zuzugeben. Team- mitglieder haben Angst, schuld zu sein, die eigene Karriere zu gefährden oder gar den Job zu verlieren, wenn die Ziele nicht in der vorgegebenen Zeit erreicht werden. Kultur des Verschleierns und Beschönigens Wassermelonen-Reporting ist ein Zeichen für eine Kultur des Verschleierns und Be- schönigens. Eine Managerin beschrieb in diesem Zusammenhang, dass „an jeder noch so kleinen Zahl gedreht wird, bis dem Lenkungsausschuss eine gute Ge- schichte präsentiert werden kann“. Selbst große, offensichtliche Probleme „versu-
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