Wirtschaft und Weiterbildung 7_8/2021

titelthema 22 wirtschaft + weiterbildung 07/08_2021 Im Kollektiv die Welt retten In seinem Elternhaus war Geld knapp. Seine Mutter war alleinerziehend und ernährte die Familie von Sozialhilfe. Handlanger auf dem Bau, Barkeeper, Gabelstaplerfahrer, Werbekaufmann und Universitätsdozent – Uwe Lübber- mann hat viele berufliche Stationen durchlaufen. Schon früh reifte in ihm die Überzeugung, dass weder die hierar- chische Ordnung, die er erstmals in der Schule als diskri- minierend erlebte, noch deren Umkehrung, wie er sie am Bau wahrnahm, wo die „Malocher“ auf die herabsehen, die sich die Hände nicht schmutzig machen, für ihn eine gute Lösung darstellte. Eine Arbeitswelt, in der alle Menschen „gleichwürdig“ sind und die das Beste aus zwei Welten, aus konventioneller und alternativer Wirtschaft, verbindet – das ist sein Ziel. In seinem Buch „Wirtschaft hacken“ fasst Uwe Lübbermann seine Vorstellungen zusammen und lässt Professoren und Mitarbeitende seiner Firma „Premium“, die er 2001 mit Gleichgesinnten nebenberuflich gründete – eine Gründung im Schongang, ohne Wachstumsdruck –, zu Wort kommen. Premium ist ein Kollektiv, das vorwiegend das koffeinstarke Getränk Premium-Cola produziert und vertreibt. Doch das eigentliche Produkt ist ein anderes: Weltverbesserung ausprobieren. Vertrauen, Transparenz, offene Kalkulation, Einheitslohn, keine Umsatzziele und nahezu keine Verträge – auch die 175 Kollektivmitglieder haben keinen Arbeits- vertrag. Mitarbeitende können ihr Tätigkeitsfeld einfach wechseln, wenn sie bereit sind, sich entsprechend weiter- zubilden. Learning by Doing wird in der Firma großgeschrie- ben. Geschäftspartner erhalten übrigens einen Antimen- genrabatt: Wer nur wenig Ware abnehmen kann, bezahlt Alternativwirtschaft. Das Unternehmen „Premium“ kennen viele, die sich für New-Work-Konzepte interessieren. Dessen Gründer, Uwe Lübbermann, stellt die Grundüberzeugungen, auf denen die Organisation fußt, in diesem Buch vor und zeigt die damit einhergehenden Herausforderungen in der Praxis offen auf. weniger. Denn so erhalten kleine Händler eine Chance. Um dennoch Frachten zusammenzulegen und damit dem öko- logischen Anspruch gerecht zu werden, setzt das Kollektiv auf Entscheidungen im Konsensverfahren. Das Erstaun- liche: In den 19 Jahren des Bestehens hatte Premium kei- nen Rechtsstreit. Doch Gründer Lübbermann, der auch an Hochschulen und Universitäten über seine Art des Wirtschaftens berichtet und Organisationen berät (zu seinen Kunden gehörten etwa die Vereinigten Arabischen Emirate, Sparkassen und die Deutsche Bahn), verschweigt die Schattenseiten seines Ansatzes nicht: lange Diskussionen, unliebsame Arbeiten, die liegenbleiben, viel unbezahlte Arbeit für den Inhaber, der nicht mehr verdient als andere und auch seine Bera- terhonorare in den Unternehmenstopf einzahlt. Nicht alle Beteiligten finden den Einheitslohn eine gute Idee. An sei- ner Steuerberaterin hat sich der Unternehmer die Zähne ausgebissen: Sie nimmt den Marktpreis. Bisher kam sein Unternehmen glimpflich durch die Coro- nakrise, mit der Strategie „Kleinmachen, großmachen“: Kollektivmitglieder oder Partner, die es sich leisten konn- ten, verzichteten auf Geld, um andere, die es dringender brauchten, weiterzubezahlen. Nur das verdienen wollen, was man zum Leben braucht, das ist für Lübbermann ein erstrebenswerter Zustand. Er ist ein Verfechter des bedin- gungslosen Grundeinkommens und des Maximalbesitzes. Nicht nur bei Premium, sondern auch als Betreiber eines Wohnungsbauprojekts will er zeigen, dass Wirtschaft sozial sein kann. Für die einen ist Uwe Lübbermann eine Art Sozialist, für andere ein Vordenker und Mutmacher. Man mag mit ihm nicht immer einer Meinung sein, aber es lohnt sich, sich mit seinen Ideen auseinanderzusetzen. Uwe Lübbermann: „Wirtschaft hacken: Von einem ganz normalen Un- ternehmer, der fast alles anders macht“, Büchner- Verlag, Marburg 2021, 160 Seiten, 18,00 Euro Uwe Lübbermann. Der Unter- nehmer verzichtet auf Umsatz- ziele. „Ohne Wachstumsdruck überlebt man besser“, ist seine Erfahrung.

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