Wirtschaft und Weiterbildung 11/2021
grundls grundgesetz Boris Grundl 56 wirtschaft + weiterbildung 10_2021 Die oberste Führungsebene eines typischen Unter- nehmens trifft bei einer Klausurtagung in einem abgelegenen Hotel gern wichtige Entscheidungen. Durch die persönliche Anwesenheit beim Findungs- prozess ist bei den Führungskräften eine hohe Iden- tifikation mit den erarbeiteten Themen entstanden. Bei allen andern fehlt diese jedoch. Sie waren ja nicht dabei. Für sie sind die neuen Ideen erst einmal Fremdkörper im eigenen Revier. Die Frustration über die fehlende Begeisterung trägt manches Mal seltsame Blüten. Manager sprechen von generell mangelnder Veränderungsbereitschaft. Weil Menschen nun einmal so seien. Und Wandel ihnen eben ausgesprochen schwer falle. Die seien störrisch … Dieses Urteil bezieht sich natürlich nur auf diejeni- gen, die beim Brainstorming fehlten. Was für eine Selbstüberhöhung und Arroganz! So entsteht ein Graben zwischen denen, die „Veränderung bringen“ und die von ihr „getroffen werden“. Das tiefe Ver- ständnis, dass jeder Mensch Zeit und Gelegenheit zur Identifikation braucht, wird oft von unbewuss- tem Dominanzstreben und Wunschdenken überla- gert. Ganz zu schweigen von der eigenen Unfähig- keit, „die anderen“ mit ins Boot zu holen. Bitte verstehen Sie meinen Sarkasmus, denn ich möchte das klarstellen: Es ist ein großer Unter- schied, ob wir anderen Veränderung verordnen oder ob sie neue Wege aus eigener Erkenntnis heraus gehen. Denn alle stellen sich Neuerungen, für die sie innere Einsicht erarbeitet haben. Der Gedanke „Menschen tun sich mit Veränderungen generell schwer“ ist einfach falsch und führt jeden Tag zu fehlerhaften Schlussfolgerungen. Mensch sein bedeutet schließlich automatisch, ständig mit Wan- del klarzukommen. Das ist Realität. Also, wie können wir es besser machen? Wir sollten Respekt dafür entwickeln, dass Forderungen bei anderen erst einmal Widerstände auslösen. Das ist so sicher, wie die Sonne morgens auf- und abends untergeht. Auch bei Ihnen selbst. Durch diese Erkenntnis können alle viel bewusster mit Verände- rungsprozessen umgehen. Professionell betrachtet hilft hier die Differenzierung zwischen Aufnahmebe- rechtigung und Aufnahmebereitschaft. Bei Ersterer bekomme ich das Recht, etwas zu sen- den. Andere wollen von mir etwas geistig aufnehmen. Diese Berechtigung entsteht durch anerkannte Kompetenz, Autorität oder Hierarchie. Es ist eine Art intellektu- elle Einsicht. Der Kopf sagt, es ist okay. Ausrufezei- chen. Bei der Aufnahmebereitschaft hingegen wol- len andere von mir etwas emotional annehmen. Ich bekomme ihre Bereitschaft, etwas zu senden. Sie entsteht durch Sympathie und menschliche Nähe. Hier geht es um emotionale Einsicht. Das Herz fühlt, es ist okay. Für Transformation braucht es beides. Berechtigung und Bereitschaft. Wer also anderen Menschen Veränderungen bringt, sollte sich dessen stets bewusst sein. Mit diesem Wissen erkennen wir den nötigen zeitlichen und energetischen Aufwand, um im Gegenüber eine Erkenntnis zu transportieren, die Veränderung auslöst. Nur so entsteht Identifikation. Wer diese Differenzierung meisterhaft beherrscht, wird neue Ideen nie wieder einfordern, überstülpen oder mit Macht durchsetzen. Vielmehr wird er andere beständig zu mentaler Transformation einladen und sie dafür gewinnen. Diese Kompetenz – oder besser die Ergebnisse daraus – wünsche ich Ihnen von Herzen. Paragraf 99 Sorge für Berechtigung und Bereitschaft! Boris Grundl ist Managementtrainer und Inhaber des Grundl Leadership Instituts, das Unternehmen befähigt, ihrer Führungsverantwortung gerecht zu werden. Er gilt bei Managern und Medien als „der Menschenentwickler“ (Süddeutsche Zeitung). Sein jüngstes Buch heißt „Verstehen heißt nicht einverstanden sein“ (Econ Verlag, Oktober 2017). Boris Grundl zeigt, wie wir uns von oberflächlichem Schwarz-Weiß-Denken verabschieden. Wie wir lernen, klug hinzuhören, differenzierter zu bewerten, die Perspektiven zu wechseln und unsere Sicht zu erweitern. www.borisgrundl.de Nichts überstülpen, sondern zu mentaler Transformation einladen. „ „
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